Double Cross. Falsches Spiel
derselbe ermüdende Vorgang. Das Boot erklomm einen Brecher, schwankte einen Moment auf seinem Kamm und schoß dann in das nächste Wellental hinab. Unten schien es jedesmal von einem graugrünen Schlund verschluckt zu werden. Neumann hatte kein Gefühl mehr in den Füßen. Er blickte hinab und bemerkte zum ersten Mal, daß er bis zu den Knöcheln im eiskalten Wasser stand.
Trotzdem glaubte er daran, daß sie es auf wunderbare Weise doch noch schaffen konnten. Das Boot schien allen Widrigkeiten des Meeres zu trotzen. Es war 5.30 Uhr. Sie hatten noch dreißig Minuten, bevor das Fenster sich schloß und das U-Boot abdrehte. Es war ihm gelungen, das Boot auf Kurs zu halten, und er war zuversichtlich, daß sie sich dem richtigen Punkt näherten. Und von der Gegenseite war keine Spur zu sehen.
Das Problem war nur, daß sie kein Funkgerät hatten.
Catherines Gerät hatten sie ja in London verloren, und das zweite hatte Martin Colville mit seiner Schrotflinte zerschossen.
Neumanns Hoffnung, auf dem Boot ein Funkgerät vorzufinden, war enttäuscht worden. Somit hatten sie keine Möglichkeit, sich dem U-Boot bemerkbar zu machen.
Es gab nur einen Weg. Neumann mußte die Positionslichter anschalten. Das war riskant, aber notwendig. Das U-Boot mußte sie sehen können, wenn sie den vereinbarten Treffpunkt erreichten. Und das war unter den gegebenen Bedingungen nur möglich, wenn die Camilla beleuchtet war. Doch wenn das U-Boot sie sehen konnte, dann waren sie auch für jedes in der Nähe kreuzende britische Kriegsschiff oder Fahrzeug der Küstenwache auszumachen.
Nach Neumanns Schätzung waren sie nur noch wenige Kilometer vom Treffpunkt entfernt. Er wartete noch fünf Minuten, dann legte er einen Schalter um, und die Camilla erstrahlte im Licht ihrer Positionslampen.
Jenny Colville beugte sich über den Eimer und erbrach sich zum dritten Mal. Sie wunderte sich, daß sie überhaupt noch etwas im Magen hatte. Wann hatte sie das letzte Mal etwas gegessen? Gestern abend hatte sie aus Wut auf ihren Vater keinen Appetit gehabt. Zu Mittag hatte sie auch nicht gegessen, und ihr Frühstück hatte nur aus Tee und einem Brötchen bestanden.
Wieder krampfte sich ihr Magen zusammen, doch diesmal kam wirklich nichts mehr. Sie hatte ihr ganzes Leben an der Küste verbracht, aber auf einem Boot war sie nur einmal gewesen, damals, als sie mit dem Vater einer Freundin einen Tag auf dem Wash gesegelt war. So etwas wie jetzt hatte sie noch nie erlebt.
Sie war wie gelähmt von der Seekrankheit. Sie wollte sterben.
Sie lechzte nach frische r Luft und war hilflos dem unablässigen Stampfen und Schaukeln des Bootes ausgeliefert. Ihre Arme und Beine hatten blaue Flecken, weil sie überall anstieß. Und dann dieser Lärm, das ständige ohrenbetäubende Dröhnen und Scheppern des Dieselmotors.
Sie wünschte sich nichts sehnlicher, als von dem Boot herunterzukommen und wieder an Land zu gehen. Wenn sie diese Nacht überlebte, so schwor sie sich immer wieder, würde sie nie wieder in ein Boot steigen. Aber was passierte, wenn die Spione das Boot verließen? Was würde dann aus ihr? Sie würden das Boot doch bestimmt nicht nach Deutschland mitnehmen. Wahrscheinlich trafen sie sich mit einem anderen Schiff. Aber was dann? Würden sie sie mitnehmen oder allein auf dem Boot zurücklassen? Wenn sie sie zurückließen, würde sie vielleicht nie gefunden werden. Sie könnte ums Leben kommen, hier draußen auf der Nordsee, bei einem solchen Sturm.
Wieder schoß das Boot den Rücken einer gewaltigen Welle hinunter. Jenny flog nach vorn und schlug sich den Kopf an.
Auf beiden Seiten der Kabine waren zwei Bullaugen angebracht. Sie wischte eines der beschlagenen Backbordfenster frei und schaute hinaus. Die See tobte, grüne Berge aus Meerwasser wälzten sich rings umher.
Doch dann sah sie noch etwas anderes. Das Wasser brodelte, und etwas Dunkles, Glänzendes stieß von unten durch die Wellen. Nun schien das ganze Meer in Aufruhr, und ein riesiges graues Ding glitt, wie ein Seeungeheuer im Märchen, an die Oberfläche. Wasser strömte an seiner Haut herab.
Kapitänleutnant Max Hoffmann hatte es satt gehabt, fünfzehn Kilometer vor der Küste zu verweilen, und beschlossen, sich etwas weiter vorzuwagen. Er wartete nun zwölf Kilometer vor der Küste und starrte in die Finsternis, als er plötzlich die Positionslampen eines kleinen Fischerboots erspähte. Hoffmann brüllte den Befehl zum Auftauchen, und zwei Minuten später stand er im strömenden Regen
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