Double Cross. Falsches Spiel
auch etwas hölzern, sein Französisch passabel, und er war viel in Europa herumgereist, auch in Deutschland. Aber er hatte noch nie auf einem Motorrad gesessen ja, er hatte sogar eine höllische Angst vor einem solchen Gefährt -, und seine Augen waren miserabel.
Brendan Evans war das genaue Gegenteil von Vicary. Er war groß, sah blendend aus, hatte eine geradezu kindliche Abenteuerlust und kannte so viele Frauen, daß er gar nicht wußte, was er mit ihnen anfangen sollte. Den beiden war nur eine Eigenschaft gemein: ein tadelloses Gedächtnis.
Vicary schmiedete einen Plan.
An diesem selben Abend im August brachte ihm Brendan auf einer verlassenen Landstraße im Fens das Motorradfahren bei.
Mehrmals entgingen sie knapp einem Unfall, doch am Ende der Nacht raste Vicary mit einer Begeisterung und Unbekümmertheit über die Feldwege, wie er sie niemals zuvor verspürt hatte. Am folgenden Morgen, auf der Zugfahrt von Cambridge nach London, paukte Brendan ihm ein, aus welchen Einzelteilen ein Motorrad bestand.
Nach ihrer Ankunft in London ging Brendan ins Kriegsministerium, und Vicary wartete draußen in der warmen Sonne. Eine Stunde später kam Brendan wieder heraus: »Sie haben mich genommen«, sagte er mit einem breiten Grinsen.
»Jetzt bist du dran. Hör genau zu.« Und dann begann er, aus dem Gedächtnis alle Buchstaben herzusagen, die er beim Sehtest auf der Tafel gelesen hatte, selbst die kleinsten in der untersten Reihe.
Vicary nahm seine Brille ab, gab sie Brendan und tappte wie ein Blinder in das finstere, unfreundliche Gebäude. Er bestand mit fliegenden Fahnen - nur ein einziges Mal, als er ein B mit einem D vertauschte, machte er einen Fehler, aber das war Brendans Schuld, nicht seine. Vicary wurde sofort der Motorradstaffel des Nachrichtenkorps als Leutnant zugeteilt, erhielt einen Bezugsschein für Uniform und Ausrüstung sowie den Befehl, sich die Locken zu stutzen, die er den Sommer über hatte wachsen lassen. Am nächsten Tag wurde er zur Euston Station beordert, um sein Motorrad abzuholen, eine funkelnagelneue Rudge, verpackt in einer Holzkis te. Eine Woche später gingen Brendan und Vicary mit ihren Maschinen an Bord eines Truppentransportschiffes und setzten nach Frankreich über.
Damals war alles so einfach gewesen. Die Agenten schlüpften hinter die feindlichen Linien, zählten Truppen, beobachteten Züge. Für die Übermittlung von Nachrichten setzten sie sogar Brieftauben ein. Heute war alles komplizierter, ein geistiges Kräftemessen über Funk, das höchste Konzentration und einen scharfen Sinn für Details erforderte.
Double Cross...
Karl Becker war ein perfektes Beispiel. Canaris hatte ihn 1940, in jenen Tagen der Begeisterung, als die Invasion sicher schien, nach England geschickt. Als Schweizer Geschäftsmann getarnt, ließ sich Becker standesgemäß in Kensington nieder und stürzte sich auf jedes vermeintliche Geheimnis, dessen er habhaft werden konnte. Vicary kam ihm auf die Spur, weil er falsche Pfundnoten in Umlauf brachte. Schon wenige Wochen nach Beckers Ankunft in London spann der MI5 ein Netz um ihn. Vicary ließ Becker beschatten. Agenten folgten ihm überallhin: zu den Partys, auf denen er Gerüchte und Klatsch austauschte und sich mit Champagner vom Schwarzmarkt betrank, zu seinen Treffs mit aktiven Agenten, zu seinen toten Briefkästen, in sein Schlafzimmer, in das er Frauen, Männer, Halbwüchs ige und weiß Gott wen noch schleppte. Nach einem Monat schlug Vicary zu. Becker wurde verhaftet - aus den Armen eines jungen Mädchens, das er eingesperrt und mit Champagner betrunken gemacht hatte. Gleichzeitig wurde ein kompletter deutscher Agentenring ausgehoben.
Dann kam der knifflige Teil. Statt Becker an den Galgen zu bringen, drehte ihn Vicary um und überredete ihn, als Doppelagent für den MI5 zu arbeiten. Schon in der folgenden Nacht schaltete Becker im Hof des Gefängnisses sein Funkgerät an und morste dem Funker in Hamburg ein verschlüsseltes Erkennungssignal. Der Funker wies Becker an, auf Empfang zu bleiben und Instruktionen seines Führungsoffiziers von der Abwehr in Berlin entgegenzunehmen. Becker erhielt den Befehl, die genaue Lage und Größe eines Stützpunkts der Royal Air Force in Kent auszukundschaften. Becker bestätigte den Empfang und verabschiedete sich.
Doch nicht Becker, sondern Vicary fuhr am nächsten Tag zu dem Flugplatz. Er hätte die Luftwaffe anrufen, sich die Daten geben lassen und dann der Abwehr schicken können. Aber ein Spion hatte
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