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Double Cross. Falsches Spiel

Double Cross. Falsches Spiel

Titel: Double Cross. Falsches Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Silva
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immer noch Meilen vom Hauptquartier entfernt. Wenn er Glück hatte, begegnete er Kameraden, die ihn mitnehmen konnten. Wenn er Pech hatte, lief er einem deutschen Spähtrupp über den Weg.
    Kurz nach Einbruch der Dunkelheit setzte das Granatfeuer ein. Die ersten Granaten flogen zu kurz und krepierten auf einem Acker, ohne Schaden anzurichten. Die nächsten pfiffen über seinen Kopf hinweg und schlugen in einem Hügel ein. Der dritte Granathagel ging direkt vor ihm auf dem Weg nieder.
    Er hörte die Granate nicht, die ihn verwundete.
    Als er einige Zeit später das Bewußtsein wiedererlangte, lag er frierend in einem Graben. Er sah an sich hinunter und wäre beim Anblick seines Knies fast wieder ohnmächtig geworden es war nur noch ein Brei aus gesplitterten Knochen und Blut. Mit letzter Kraft kroch er auf den Weg. Er fand sein Motorrad und verlor neben ihm das Bewußtsein.
    Am nächsten Morgen wurde Vicary in ein Lazarett gebracht.
    Er wußte, daß der Angriff bereits in vollem Gange war, denn das Lazarett war überfüllt. Er lag in seinem Bett, benebelt vom Morphium, und hörte das Stöhnen der Verwundeten. Am frühen Abend starb der Junge neben ihm. Vicary schloß die Augen und versuchte, sein Todesröcheln zu vergessen, aber er konnte nicht.
    Tags darauf besuchte ihn Brendan Evans, jener Freund aus Cambridge, der ihm mit seinen Tricks den Weg ins Nachrichtenkorps geebnet hatte. Der Krieg hatte ihn verändert.

    Seine jugendliche Unbeschwertheit war verschwunden. Er wirkte jetzt wie ein Mann, den das Leben hart und gefühllos gemacht hatte. Brendan zog sich einen Stuhl heran und setzte sich neben das Bett.
    »Ich war selbst schuld«, sagte Vicary. »Ich wußte, daß die Deutschen warteten. Aber mein Motorrad ging kaputt, und ich konnte das verdammte Ding nicht reparieren. Dann setzte das Granatfeuer ein.«
    »Ich weiß. Man hat die Papiere in deiner Satteltasche gefunden. Niemand macht dir einen Vorwurf. Du hattest einfach nur Pech. Wahrscheinlich bestand nicht die geringste Chance, die Maschine zu reparieren.«
    Noch heute, dreißig Jahre später, hörte Vicary manchmal im Schlaf die Schreie der Sterbenden. Und in letzter Zeit hatten seine Träume eine neue Wendung genommen - er träumte, daß Basil Boothby Sabotage an seinem Motorrad begangen hatte.
    Haben Sie Vogels Akte gelesen? Nein. Lügner. Schamloser Lügner.
    Vicary hatte versucht, keine Vergleiche zwischen damals und heute anzustellen, aber sie drängten sich förmlich auf. Er glaubte nicht an Bestimmung, aber irgend jemand oder irgend etwas hatte ihm eine Chance gegeben - die Chance, den Fehler, den er an jenem Herbsttag 1916 begangen hatte, wettzumachen.
    Vicary hatte gehofft, daß ihn die Party in dem Pub gegenüber der MI5-Zentrale auf andere Gedanken bringen würde, doch dies war ein Irrtum. Er hatte sich am Rand herumgedrückt, an Frankreich gedacht, in sein Bierglas gestiert oder zugesehen, wie seine Kollegen mit den hübschen Mädchen aus dem Schreibbüro flirteten. Nicholas Jago machte am Klavier eine gute Figur.
    Er wurde aus seinem Trancezustand gerissen, als eines der Mädchen aus der Registratur I'll Be Seeing You sang. Eine attraktive Blondine mit knallroten Lippen namens Grace Clarendon. Vicary kannte sie und wußte, daß Harry zu Beginn des Krieges ein Verhältnis mit ihr gehabt hatte. Er konnte Harry durchaus verstehen. Grace war intelligent, geistreich und cleverer als die übrigen Mädchen aus der Registratur. Aber sie war auch verheiratet, und das konnte Vicary nicht billigen. Er sagte Harry nicht, was er von der Affäre hielt, es ging ihn ja nichts an. Er dachte: Wer bin ich denn, daß ich mich zum Richter in Herzensangelegenheiten aufschwinge? Er vermutete, daß es Grace war, die Harry von Boothby und Vogels Akte erzählt hatte.
    Harry trat ein, dick in seinen Mantel verpackt. Er winkte Grace zu, dann kam er zu Vicary herüber und sagte: »Gehen wir rüber ins Büro. Ich habe einiges zu berichten.«
    »Ihr Name war Beatrice Pymm. Sie lebte allein in einem Cottage bei Ipswich«, erläuterte Harry, als sie die Treppe zu Vicarys Büro erklommen. Er hatte am Morgen mehrere Stunden in Ipswich verbracht und sich mit Beatrice Pymms Vergangenheit befaßt. »Keine Freunde, keine Angehörigen. Ihre Mutter starb 1936. Sie hinterließ ihr das Cottage und ein hübsches Sümmchen. Sie war nicht berufstätig. Sie hatte keinen Freund, keinen Liebhaber, nicht einmal eine Katze. Sie hat gemalt, sonst nichts.«
    »Gemalt?« fragte Vicary.«
    »Ja,

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