Downtown Blues
Wörter, die seltsame Sätze ergaben, wenn man sie laut aussprach: »Tot der Cid« und »Tot den Poliks« und »Tot den Virfings«.
Der Geruch eines offenen Feuers, gedämpfte Stimmen, Lachen und laute Flüche in einer fremden Sprache. Sie schob sich die Schneebrille aus dem Gesicht, dämpfte den Lichtschein der Sturmlampe und lief auf die Laute zu – wohin hätte sie auch sonst gehen können?
Plötzlich verstummten die Stimmen, sie hatten sie gehört. Sie drehte das Licht ganz aus und lauschte mit angehaltenem Atem in die Dunkelheit. Nichts, nur das Rauschen ihres Blutes in den Ohren. Auf weichen Schneestiefeln schlich sie auf den Feuerschein zu.
»Chi ist da?«
»Shut up, stupido!«
»Het brok dich niet verstecken.«
Die Stimme schlug jetzt eine andere Tonart an. Hatten sie gemerkt, dass sie allein war? Was soll’s – sie waren so oder so in der Überzahl, warum also wegrennen. Skadi drehte die Sturmlampe wieder hoch und ging forsch auf die Stimmen zu.
Sie waren wohl die merkwürdigste Gruppe, die sie jemals um ein Feuer hatte sitzen sehen. Höflich richtete sie zuerst den Lichtschein auf ihr Gesicht und stellte sich vor: »Skadi Gunnarsdottir.«
»’ne ’skimoTussi.«
Ein hohes Kichern drang aus einem Berg Kleider. Ein Mutant, war ihr erster Gedanke, dann sah sie, dass die Person nur durch die vielen bunten Decken so unförmig wirkte. Das Gesicht schien von einer Maske verdeckt zu sein. Eine Hand zuckte vor und klatschte auf den Hinterkopf des Sprechers.
»Vorlauter Bengel.« Eine uralte Frau, auf dem schrumpeligen Mumienkopf einen grellbunten Hut, sah sie lauernd an. »Is l’aqua schon da?«
»Laka?«, wiederholte sie verständnislos. Sie hatte das dumme Gefühl in eine Gruppe Irrer geraten zu sein.
»Sie will wissen, ob das Wasser schon da ist«, übersetzte der, der sie Eskimotussi genannt hatte. »Die Flut«, erläuterte er mit aufreizend deutlicher Aussprache, als sie ihn nur stumm anguckte.
Sie schüttelte den Kopf.
»La Siñorina spreken niet Eurisch?«
Skadi schüttelte wieder den Kopf. Vielleicht waren sie doch nicht verrückt. Schließlich war sie hier die Fremde.
Daheim, sie meinte die bemoosten Felsen, die sie Zuhause nannte, hatten sie sie vor den Europäern gewarnt. »Kannst mir glauben, Skadi, die haben von all dem Alien-Zeugs, das sie sich ständig reinpfeifen, völlig aufgeweichte Hirne.« Sie musste Palle ziemlich perplex angeguckt haben, denn er setzte noch einen drauf: »Sind völlig eingeschrumpft, wie Jakobsmuscheln, brr!« Palle war ’n halber Europäer, also wusste er, wovon er sprach. Allerdings hatte sie den Verdacht, dass er ihr einiges verschwiegen hatte. Eurisch, das musste so eine Mischsprache sein wie ihr Icespeak.
»Wer seid ihr?« Die Neugierde hatte über die Höflichkeit gesiegt.
»Rojalspiertater-Truppe.« Der Junge warf sich in die Brust. »Hast sicher schon von uns gehört?«
»Klar, wer nicht.« Diesmal wollte sie nicht wieder als die dumme ’skimoTussi dastehen.
Die unförmige Gestalt hob den Kopf und der Schein des Feuers beleuchtete die unheimliche Maske: eine groteske rote Kugel mit Löchern für die Augen und einem klaffenden, grinsenden Mundschlitz. Das Gesicht hinter der Maske stieß gutturale Laute aus, wühlte sich wie eine Chrysalis aus ihrem Kokon und wuchs zu bedrohlicher Höhe an. Das Grunzen formte sich zu Worten, die von den Tunnelwänden zurückprallten und sie wie Schläge trafen.
»Sein oder nicht sein, und der Regen wird siebzig Tage herunterkommen auf die Sünder und ihre Gesichter mit Schmalzkringeln bedecken.«
Irre, sie hatte doch Recht gehabt, Palle hatte Recht. Dieser Ort war von Jenseitigen bewohnt. Voll Panik griff Skadi nach ihrem Rucksack und stürzte in die Dunkelheit vor ihr.
Echogelächter, verzerrt wie die Schatten hinter ihr, verfolgte sie. Sie stolperte vorwärts. Erst als das Pochen ihres Herzens lauter als das Gelächter wurde, stockte sie. War dies das Abenteuer? Hatte sie dafür alles hinter sich gelassen? Skadi rutschte an der unverputzten Wand nach unten und kramte einen Streifen Dörrfisch, mehrere Planktonkekse und Algenpaste aus ihrem Proviantpaket. Systematisch kaute und schluckte sie die trockene Nahrung. Sie merkte, wie sie der vertraute, salzig-fischige Geschmack sentimental werden ließ.
Daheim begannen sie wohl inzwischen mit den Vorbereitungen für die große Feier. Eine Dekade wurde verabschiedet und Lasse übte seine Rede, und damit die Worte schön rund klangen, ölte er seine Kehle mit
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