Downtown Blues
mit Vergangenheit und ich – ja, wer bin ich?
»Wollt ihr kaufen oder verkaufen?«
Reardons Blick durchdringt mich. Kein Schüler-Bonus, nicht von diesem Mann. Misstrauen schenkt dir Lebenszeit, da draußen auf den Straßen. Sein Blick wandert zu Bru – abschätzend und kühl. Vertrau nie einem Cop, erst recht nicht deinem Ex-Partner. Der alte Mann hat seine Lektion schon vor langer Zeit gelernt.
Ich warte. Brubaker schweigt. Sag was, Mann, signalisieren meine Blicke. Aber er ist ganz woanders.
»Ich hörte, ihr seid hinter der Capistrano-Familie her?« Klingt das beiläufig genug für dich, Bru? Verdammt, lass mich nicht so hängen, ich spiel dies Spiel noch nicht so lange.
»Sieht ganz so aus, als würden sich unsere Wege immer wieder kreuzen.« Reardon ignoriert meine Frage. Plötzlich sind nur noch zwei Menschen in diesem Raum. Ich existiere gar nicht mehr. »Du kannst es immer noch nicht verstehen, oder, Bru?«
»Da hast du verdammt Recht. Ich kann es nicht verstehen.« Er hebt nicht einmal die Stimme, so verletzt ist er. »Warum, sag mir endlich, warum, Reardon.«
»Prioritäten, Bru, nichts weiter.« Er klingt müde. »Irgendwann, wenn du lange genug da draußen warst, ändern sich die Ziele. Glaub mir, das ist einfach so.«
Jetzt ist der gefährliche Cop der resignierte, müde Ex-Cop. Mühelos vollzieht er den Rollenwechsel. Er lässt sich auf das schmale Bett fallen, seine Hand tastet blind und findet eine halb leere Flasche.
»Echter Whiskey, Bru, nicht diese Synth-Scheiße. Trink einen mit mir, auf die alten Tage. Du auch, Donovan.«
»Immer noch den besten Kredit?« CF-Agent Brubaker hebt die Flasche und hält sie gegen die verdunkelte Scheibe, nur ein Reflex. »Manche Dinge ändern sich nie.«
»Du glaubst, ich schulde dir was?«
»Wer weiß –«
Er trinkt ohne Genuss. Vielleicht will er nur den Geschmack der Niederlage, des Verlustes runterspülen. Ich kenne diesen Geschmack viel zu gut. Doch sind wir nur gekommen, um alte Wunden zu begießen?
»Da ist ein Neuer in der Stadt, hängt mit Concepcións kleiner Schwester rum, kennst du ihn, Reardon?«
»Besser als ich will und weniger als ich sollte.«
»Hör bloß auf mit deinen irischen Weisheiten, alter Mann, sonst brech ich dir diesmal den Arm.« Wie viel Scheiße muss ich mir noch anhören?
Er lacht nur und trinkt und lacht wieder, als wär’s ein verdammt guter Witz gewesen. Bru lacht nicht, er trinkt nur. Ich geh zur Tür. Dies ist nicht die Tageszeit, um gemeinsam über Erinnerungen zu lachen.
»Sie mag mich, Bru, merkst du das?« Er lacht immer noch. »Geh nicht, Donovan, was willst du wissen?«
»Erzähl mir einfach was«, grins ich. »Ihr Iren seid doch ganz groß im Erzählen.«
Deck nie deine Karten auf, wenn du das Blatt des Gegners nicht kennst. Noch eine Stunde mit diesem Mann in einem Zimmer, und ich bekomme jede einzelne verdammte Spielregel vorgeführt. Schätze, er weiß über meinen CF-Status Bescheid, weiß, auf welchen Fall mich Fraser angesetzt hat. Ist da etwa Besorgnis hinter seinen Augen, dass ich in seinem Revier wildern will? Einer wie Reardon, der jeden Trick kennt, jeden Zugriffskode, jede Verschlusssache, der hat eine Menge Antworten. DelMonico? Nein, ich muss meine Gedanken nach vorne richten.
»Im Barrio entwickeln sich die Dinge schnell dieser Tage.« Reardon schüttelt den Rest in der Flasche, mehr ein Ritual als der Wunsch zu trinken. »Jeder erzählt dir Neuigkeiten, die schon längst keine mehr sind. Informationen?« Schulterzucken. »Die Preise steigen genauso schnell, wie die Gerüchte umgehen.«
»Stardust?«
»Stimmt, so nennen sie es. Die DCU ist ganz heiß auf eine Probe, wollen die Formel knacken. Ist ’ne nette runde Prämie zu holen.«
Seine Stimme klingt träumerisch, hat ihn der Whiskey leichtsinnig gemacht oder sind es die Erinnerungen? Dabei glaube ich, es ist das Ungesagte, das zählt.
Brubaker lehnt immer noch am Fenster, ich seh sein Spiegelbild in der Scheibe, doch seinen Gesichtsausdruck sehe ich nicht. Cop-Hangover, irgendwann erwischt er dich. Dann tauchst du unter – wie DelMonico? – oder wirst Kopfgeldjäger für die DCU, wie Reardon.
Prioritäten, hat er gesagt, doch wo bleiben sie, wenn Namen ins Spiel kommen, Namen wie Harding und Winston Jay? Sind Bürgermeistersöhne auch nur Prämienfälle, wenn die DCU sie auf ihre Liste setzt?
»Ich hörte, uptown ist ’ne Sache am Laufen«, sage ich vage.
»Du hast wirklich feine Ohren, Donovan.« Er hebt wieder die
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