Downtown Blues
Flasche und schüttelt sie. »Wirklich schade, dass mein Whiskey alle ist, könnte sonst noch richtig geschwätzig werden.«
»Lügner.« Wie schafft es der alte Mann nur, bringt mich jedes Mal aus der Fassung. Und ich – bring ihn zum Lachen.
»Hör auch so manches dieser Tage, hörte, sie haben dich auf der Abschussliste da unten im Barrio, Donovan.«
Er lacht immer noch, lacht zu viel, um ehrlich zu sein. Dieser verfluchte Bastard weiß, wo er das Messer ansetzen muss, damit es tief schneidet. Für einen Moment hör ich wieder die Schüsse, er hat mich eiskalt ausgespielt. Reardon und ich, das ist auch etwas, was sich nie ändern wird. Ich überspiele den Flashback der Angst.
»Du willst mich warnen?«, sage ich lässig.
»He, Bru, wie steht’s, immer noch auf der Suche nach ’nem neuen Partner? ’nen ausgekochteren als die kleine Lady wirst du in hundert Jahren nicht finden.«
»Immer die falschen Worte zur richtigen Zeit, was, Reardon?« Jetzt ist es diese kalte Wut, die verletzen will. »Du bist doch längst tot, alter Mann. Wird Zeit, dass du’s merkst.«
Er hebt nur stumm die Flasche, tippt einen Toast in meine Richtung. »Auf alle, die von uns gegangen sind«, grinst er und trinkt. »Ist immer nett, mit dir zu plaudern, Donovan.« Er lehnt sich zurück und schließt die Augen. »Und wenn du gehst, vergiss nicht, den großen Schweiger mitzunehmen.«
… see the fire sweeping our very street today.
Gimme, gimme shelter or I’m gonna fade away.
War, children, it’s just a shot away, it’s just a shot away …
–The Rolling Stones
Die Nacht ist fast vorbei, Morgenlicht dringt durch den Smog, kriecht über die Häuserwände. Es ist die Zeit, in der du schlaflos grübelst oder deinen Alpträumen wegzulaufen versuchst. Es ist die Zeit der lautlosen Jäger, sie schleichen durch die Straßen. Schalldämpfer und blauer Stahl. Du weißt es und hast zu viel Angst, dich umzusehen, und du bist so allein.
»Diese Sache im Barrio, Donovan, was ist da vorgefallen?«
Er klingt seltsam unbeholfen, so als wüsste er nicht, ob er das Recht hat zu fragen. Und ich – was soll ich sagen? Nein, verdammt, du hast kein Recht, du bist selbst verletzlich und suchst nach Antworten.
»Reardon redet viel.« Ich zucke mit den Schultern, will sie abschütteln, die Schatten der Nacht, die harten Schatten des heißen Mittags in der Avenida Daniel Ortega.
Sei ehrlich, Donovan. Solange du nicht darüber sprichst, kannst du dir immer einreden, es sei nicht passiert. Mein Mund ist trocken und ich spüre, wie mir kalter Schweiß über den Rücken läuft. So fühlt es sich also an, wenn man auf der Liste steht.
»Er kennt sich aus.«
Bru ist ratlos. Nur Worte ohne Bedeutung – oder eine Beschwörung, eine Entschuldigung? Ich habe meine eigene Meinung über Reardon, und ich trau ihm nicht. Trotzdem –
»Irgendwie ist er immer noch dein Partner.« Ich sag’s ganz leise, ungewollt, wie um Verzeihung bittend für den eigenen Verlust.
Er antwortet nicht. Und auf einmal scheint sich etwas zu verändern, aber ich weiß nicht was. Dies ist immer noch die Downtown, eine einsame Straße und ein Mann und eine Frau. Plötzlich ist sie wieder da, diese Nähe, nur kann ich sie diesmal nicht ignorieren. Und ich weiß nicht, ob mir das gefällt. Ich gehe schneller, versuche vor meinen Gefühlen davonzulaufen. Wie dumm von mir.
Diese Nacht hat ihre eigenen Gesetze. Auf einmal ist es die Nacht der Geständnisse, der schlecht verheilten Wunden und Erinnerungen. Und manchmal, wenn die Dinge außer Kontrolle zu geraten scheinen, dann brauchst du jemanden, der dich einfach nur festhält. Jemand, der dich durch seine Hände, seinen Körper fühlen lässt, wie es ist, wenn sich deine Gedanken nicht mehr im Kreise drehen, wenn du an überhaupt nichts mehr denkst und selbst die Zeit zeitlos wird.
Downtown
Keine Gemeinsamkeiten am Morgen, nur eine versiegelte Nachricht auf meiner Mailbox: »Warte auf dich, Frühstück bei Mifune – Steve«. So, als wäre er nie hier gewesen – in meinem Bett, in meinen Armen.
Die alte Cop-Routine hat mich wieder, und das ist gut so. Fraser wartet auf Ergebnisse. Was für Ergebnisse, zur Hölle? Seit ich wieder an der Stardust-Sache dran bin, lauf ich nur im Kreis. Die haben ihre Spuren gut verwischt, da oben in der Uptown. Oder doch nicht – außer Del kenne nur ich alle Einzelheiten. Plötzlich bekommt der Anschlag im Barrio ein anderes, gefährlicheres Gesicht.
Die letzte Nacht, Reardons
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