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Dr. Bill Brockton - 04 - Todesstarre

Dr. Bill Brockton - 04 - Todesstarre

Titel: Dr. Bill Brockton - 04 - Todesstarre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jefferson Bass
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Gebäude verließen, und manchmal fanden sie auf einem Overall ein oder zwei verirrte Uranpartikel, die haben sie dann mit einer Lupe und einer Pinzette entfernt. Das geschah allerdings nicht aus Sorge um unsere Gesundheit, vielmehr war das Uran so kostbar, dass sie es sich nicht leisten konnten, auch nur ein winziges Partikel durchs Tor schlüpfen zu lassen.
    Heute wird man beim Arzt nicht mal geröntgt, wenn man schwanger ist. Aber damals haben tausende junger Frauen im gebärfähigen Alter in Bereichen voller Strahlungsquellen gearbeitet. Er wundert mich, dass in Oak Ridge 1944 und 1945 nicht unzählige Babys mit Geburtsfehlern auf die Welt gekommen sind.
    Doch ich wollte nicht deswegen eine Abtreibung, weil ich mir Sorgen wegen eines möglichen Geburtsfehlers machte. Ich brauchte eine Abtreibung, weil das Baby nicht von Novak war. Nach zwölf Monaten hatten wir die Ehe immer noch nicht vollzogen. Leonard Novak war vieles – klug, witzig, ein exzellenter Wissenschaftler, ein toller Jazzpianist –, aber heterosexuell war er nicht. Wenigstens nicht bei mir.
    Ich hatte alles versucht, um meinen Mann zu verführen. Zur Schlafenszeit zog ich mich vor ihm aus. Manchmal bürstete ich mir, nur im Slip vor dem Spiegel sitzend, die Haare mit hundert Bürstenstrichen. Ich hatte ihn betrunken gemacht und gehofft, das würde ihm die Hemmungen nehmen. Sobald das Licht aus war und wir unter der Decke lagen, schmiegte ich mich an ihn. Es hat alles nicht funktioniert.
    Haben Sie eine Vorstellung davon, wie das für eine Frau ist, wenn ihr Mann nicht das geringste sexuelle Interesse an ihr zeigt? Wenn er nie versucht, sie zu berühren? Inzwischen wusste ich genug, um zu wissen, dass ich Sex mochte. Und auch brauchte. Vielleicht lag es daran, dass mein Vater gestorben war und meine Mutter mich verlassen hatte, als ich noch recht jung war. Aus welchem Grund auch immer, ich sehnte mich nach Zuwendung. Vielleicht wollte ich auch nur Sex, weil ich eine gesunde, fruchtbare junge Frau war, umgeben von gesunden, potenten jungen Soldaten und Bauarbeitern.
    Eine Woche nach der Hochzeit mit Novak wusste ich, dass ich einen Fehler gemacht hatte, und sechs Monate später war ich rastlos und fing an, mit anderen Männern zu flirten. Wahrend Novak im Graphitreaktor war und Plutonium produzierte, ging ich Tag für Tag um die Mittagszeit den Hügel runter zur Kulturhalle und fing mit irgendeinem Typ am Tresen ein Gespräch an. Manchmal unterhielten wir uns nur ein Weilchen, und dann nahm ich den Bus zu unsererY-12-Anlage, zur Spätschicht am Calutron. Manchmal nahm der Typ, wer auch immer er war, mich mit in ein Wohnheimzimmer, ein Auto oder einen Wohnwagen. Ich fühlte mich heimlichtuerisch und schmutzig, aber es half gegen die Einsamkeit. Ich hatte etwas, worauf ich mich während der langen Nachmittagsstunden in einer Fabrik voller Vakuumpumpen, unsichtbarer Atome und Magnetfelder, die mir die Spängchen aus den Haaren zogen, freuen und an das ich mich danach erinnern konnte. Und ich hatte etwas, woran ich mich in den langen, leeren Nachtstunden klammern konnte, wenn mein Ehemann mir ein Küsschen auf die Wange gab und sich auf die andere Seite der Matratze rollte.
    Novak muss gewusst haben, dass ich ihm untreu war. Er war schließlich ein kluger Mann; ausgeschlossen, dass ihm nicht auffiel, dass die Frau, die sich ihm Nacht für Nacht an den Hals geworfen hatte, dies plötzlich nicht mehr tat. Machte es ihm die Erleichterung darüber, dass ich ihn in Ruhe ließ, erträglicher, über seine Beobachtungen, Vermutungen oder Befürchtungen zu schweigen? Ich kann nur annehmen, dass dem so war. Und ich wertete sein Schweigen gewissermaßen als stille Zustimmung.
    Aber ein Baby … Ich wusste, dass ein Baby alles verändern würde. Ein Baby hätte uns gezwungen, uns der Sache zu stellen. Das konnte ich nicht. Und so fand ich mich eines Samstagabends – ich war schwanger, und Novak war nicht da – im Bus nach Colored Town wieder.
    Ich war nicht allein. Bei mir war eine junge Schwarze aus derY-12-Anlage. Mary Alice war Putzfrau in meinem Gebäude. Das waren die einzigen Jobs, die sie Schwarzen während des Krieges gaben. Körperliche Arbeit oder Hausmeisteraufgaben. Ich hatte sie in den Rauchpausen kennengelernt, und ich mochte sie. Ihre Mutter war, wie sie sagte, so eine Art Hebamme, Krankenschwester und Heilerin. Und Engelmacherin. Als ich merkte, dass ich schwanger war, überlegte ich mir rasch einen Vorwand, warum ich zusammen mit Mary Alice nach

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