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Dr. Bill Brockton - 04 - Todesstarre

Dr. Bill Brockton - 04 - Todesstarre

Titel: Dr. Bill Brockton - 04 - Todesstarre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jefferson Bass
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Am allerwenigsten dich. Bitte, das musst du mir glauben. Nur Novak – sein Leben für das Leben meiner Großmutter. Meine Großmutter und all die anderen Großmütter und Großväter und Eltern und Kinder von Nagasaki. Er war der Einzige, dem ich etwas antun wollte. Ich dachte, ich kriegte es sauber hin.«
    »Sauber? Was um alles in der Welt bedeutet dieses Wort dir?« Ich versuchte das, was sie gerade gesagt hatte, mit dem in Einklang zu bringen, was sie getan hatte. Wie konnte die Trauer um eine Großmutter, die sie gar nicht gekannt hatte, sie zur Mörderin eines alten Mannes werden lassen, der einst ein Zahnrad gewesen war – ein entscheidendes Zahnrad zwar, aber trotzdem nur ein Zahnrad – in der Maschinerie des Manhattan-Projekts? Wie konnte der Verlust einer Vorfahrin diese gescheite, sensible Frau so aus dem Gleichgewicht bringen?
    »Es war zu gewaltig für mich, es hat sich verselbstständigt«, sagte sie. »Ich hätte es wissen müssen. Ich hätte aus dieser ganzen Geschichte mehr lernen müssen.« Sie griff sich in den Nacken. »Hier«, sagte sie, »ich will, dass du es bekommst.« Sie zuckte zusammen, als sie an der Schließe herumfummelte, und wimmerte, und dieses Wimmern – ganz anders als das Wimmern des Verlangens, das ich einst aus ihrem Mund gehört hatte – war schier unerträglich. Sie zog den silbernen Anhänger unter ihrer Bluse heraus und hielt ihn mir hin, sodass er zwischen uns baumelte. »Es ist das japanische Symbol für ›Erinnerung‹«, sagte sie. »Ich habe ihn vor zehn Jahren anfertigen lassen«, sagte sie, »als ich beschloss, Leonard Novak umzubringen. In zehn Jahren habe ich ihn kein einziges Mal abgelegt, außer in der Nacht mit dir. Jetzt lege ich ihn für immer ab.« Sie weinte jetzt heftiger, und ich spürte auch auf meinem Gesicht Tränen. »Meine Mutter ist vor langer Zeit gestorben. Mein Vater ist jetzt auch tot. Und ich bin ein wandelnder Geist.«
    Sie streckte den Arm noch weiter aus, um mir den Anhänger darzubieten. Ich wollte ihn nehmen, doch kurz bevor meine Hand sich darum schloss, fiel er zu Boden. Ich machte einen Satz, um ihn aufzufangen, und in diesem Augenblick schoss sie an mir vorbei und sprang über den Wall aus Scherben in den Hauptlesesaal. Ich drehte mich gerade noch rechtzeitig um, um zu sehen, wie sie zwischen den dunklen Regalreihen verschwand. Ich folgte ihr, lief von Reihe zu Reihe, von Gang zu Gang, doch nirgends eine Spur von ihr. Dann hörte ich Schritte im Eingangsbereich und aus der Ferne das dumpfe Zuschlagen einer Tür. Ich lief hinter ihr her, hinaus in die Dämmerung, platschte durch die Pfützen und Lachen, die sich auf dem Gehweg und dem Parkplatz gebildet hatten.
    Als sie den Prius erreichte, holte ich schon auf. Fünfzig Meter, vierzig, dreißig. Sie fummelte mit dem Schlüssel herum, und ich glaubte, einen weiteren schmerzvollen Schrei zu hören, und sah, dass ihr der Schlüssel herunterfiel. Sie zögerte, dann drehte sie sich um und lief wieder los – vom Parkplatz quer über die nasse Rasenfläche des Parks hinter der Bücherei. Halb hastend, halb rutschend, warf sie sich eine Böschung hinunter in den kleinen Bach, der den Park in zwei Teile teilte.
    Ich konnte nur noch staunend zusehen, wie Isabella verschwand; da, wo sie eben noch gewesen war, blieb ein schwarzes, leeres Loch und rauschendes Wasser zurück. Sie war in das Ende eines riesigen Rohrs gekrochen, das nur der Auslass des städtischen Abwasserkanalsystems sein konnte.
    Isabella war in einem unterirdischen Labyrinth verschwunden, einem Labyrinth das im Jahr 1943 unter den Grundmauern der Geheimen Stadt errichtet worden war.

43
    Ich rutschte den Hang hinunter in das eisige Wasser des Flüsschens, das um meine Oberschenkel wirbelte. Der Tunnel war eine Betonröhre von zwei, zweieinhalb Metern Durchmesser. Das Wasser, das herausströmte, sah aus, als wäre es knietief; die Dunkelheit schien undurchdringlich.
    Ich klappte mein Handy auf und drückte die Wähltaste, und das Telefon verband mich automatisch mit dem letzten Anrufer, und das war Thornton. Der Anruf ging direkt auf seine Voicemail, was bedeutete, dass er gerade telefonierte. »Hier ist Brockton«, sagte ich. »Isabella hat Novak getötet. Sie weiß, dass wir es wissen. Sie ist in dem Abwasserkanalsystem unter Oak Ridge abgetaucht. Zwischen der Stadtbücherei und dem Polizeirevier. Ich gehe ihr nach. Sagen Sie Emert Bescheid.«
    Ich klappte das Handy zu und betrat die Röhre. Das Wasser war nicht so tief wie in

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