Dr. Bill Brockton - 04 - Todesstarre
konfrontieren: Wenn du einmal die Grenze überschreitest, wirst du sie auch ein zweites Mal überschreiten, und dieses Mal wird es leichter sein; von Mal zu Mal wird es immer leichter werden, bis du die Grenze ganz aus den Augen verlierst. »Sie hat sich umgebracht«, sagte ich. »Sie hat Wodka mit Nembutal getrunken, und ich hatte keine Ahnung, bis es zu spät war.« Ich erwiderte seinen Blick und hielt ihn fest. »Ich hatte kurz überlegt, es Ihnen zu verschweigen«, sagte ich. »Kam mir fast vor wie ein schlafender Hund. Aber ich konnte ihn nicht schlafen lassen.«
»Das ist gut«, sagte er. »Ansonsten hätte es ein wenig unangenehm werden können, wenn ich mir die Aufzeichnung anhöre.«
»Aufzeichnung?«
»Vor Ihrem ersten Besuch bei ihr haben wir uns einen Beschluss zur Audioüberwachung besorgt«, sagte er. Ich musste ihn verdutzt angesehen haben. »Leonard Novak war einst ein hochrangiger Atomwissenschaftler«, erklärte er, »und irgendjemand hat ihn mit einer starken radioaktiven Strahlungsquelle getötet. Der Direktor hat dem Fall hohe Priorität eingeräumt. Er wäre sehr enttäuscht gewesen, wenn ich nicht jeden Aspekt gründlich untersucht hätte. Und ich wäre sehr enttäuscht gewesen, wenn Sie mir die Wahrheit verschwiegen hätten.« Er zögerte. »Aber ich wäre vermutlich auch enttäuscht gewesen, wenn Sie sich nicht ein paar Gedanken um den Ruf einer älteren Dame gemacht hätten. Selbst wenn das alte Mädchen eine hinterhältige, seelenlose Spionin für die Kommunisten war.«
Ich lachte und seufzte und schüttelte den Kopf, alles gleichzeitig. »Wie kommt es, dass Sie Polizist geworden sind und nicht Diplomat?«
»Ich hatte keine Lust, auf dem Botschaftsgelände in irgendeinem rattenverseuchten, unbedeutenden Dritte-Welt-Drecksloch zu landen.«
»Schade«, sagte ich. »Mit Ihrer Eloquenz hätten Sie einen verdammt guten Botschafter abgegeben.«
»Allerdings«, meinte er. »Übrigens würde es mich nicht überraschen, wenn das hier unsererseits ziemlich diskret behandelt wird. Das FBI und die National Security Agency versuchen immer noch, einige Spione aus dem Kalten Krieg aufzuspüren. Wir wollen vielleicht nicht verraten, dass wir Beatrice auf die Schliche gekommen sind.«
Das schien mir nicht ganz logisch zu sein, doch dann kam mir noch ein Gedanke. »Agent Thornton, ist es möglich? Schlägt da irgendwo hinter dieser FBI-Dienstmarke etwa ein mitfühlendes Herz?«
»Ausgeschlossen«, sagte er. Doch ich glaubte die Andeutung eines Lächelns zu sehen, als er einen Leichenwagen rief, um Beatrice ins Jenseits zu überführen.
42
Den ganzen nächsten Vormittag und den größten Teil des Nachmittags war ich mit Miranda und Carmen im Krankenhaus. Ein Handchirurg entfernte Garcia an der rechten Hand drei Finger und amputierte die linke Hand ganz, denn unterhalb des Handgelenks war alles abgestorben. Die Chancen stünden gut, versicherte der Chirurg Carmen, dass Garcia eines Tages mit Hilfe ausgeklügelter Prothesen und intensiver Rehabilitation wieder arbeiten konnte. Was der Chirurg nicht sagte, war, dass Garcia auch immer noch an einer unkontrollierten Infektion oder an inneren Blutungen sterben konnte.
Mirandas Fingerspitzen zeigten, Gott sei Dank, erste Anzeichen dafür, dass sie heilten. Sie hatte an der Spitze des Daumens und der ersten beiden Finger Gewebe verloren, doch Sorensen war zuversichtlich, dass sie wenig oder gar keine dauerhaften Narben zurückbehalten würde. Unter den gegebenen Umständen kam sie noch relativ ungeschoren davon. Miranda hatte Carmen zum Krankenhaus gefahren, und sobald Garcia wieder in seinem Isolierraum war, immer noch sediert, brachte Miranda sie nach Hause.
Das Licht schwand, und ein kalter, unbarmherziger Regen hatte eingesetzt, als ich in Oak Ridge vor der Stadtbücherei parkte. Thornton hatte auf meiner Voicemail eine Nachricht hinterlassen, während ich im Krankenhaus gewesen war und das Handy ausgeschaltet hatte. Sie hatten einen Verdächtigen für den Diebstahl des Isotopenarbeitsgeräts identifiziert – einen Einwanderer japanischer Abstammung namens Arakawa –, doch er war gestorben, bevor die FBI-Beamten ihn befragen konnten. Er war, lautete die Nachricht, an Strahlenvergiftung gestorben.
Ich öffnete meine Aktentasche und holte den großen wattierten Umschlag heraus, den Miranda mir gegeben hatte, kurz bevor ich nach Oak Ridge aufgebrochen war, und starrte wieder darauf. Auf einer gelben Haftnotiz, die außen klebte, stand in Mirandas
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