Dr. Bill Brockton - 04 - Todesstarre
Schläuche und Drähte, an die er angeschlossen war, sah Eddie Garcia um einiges besser aus als vierzehn Stunden zuvor in der Notaufnahme. Seine Übelkeit und sein Durchfall waren besser geworden, und aus seiner Miene sprach weniger Panik als ganz normale Erschöpfung.
»Sie sehen ziemlich gut aus«, sagte ich. »Sind Sie ganz sicher, dass Sie nicht einfach nur was Falsches gegessen haben?« Miranda stieß mir tadelnd in die Rippen und drückte Garcias Arm. In mir stieg Panik auf, als sie das tat – konnte das ihre Strahlenexposition erhöhen? –, doch dann erinnerte ich mich an die Szene mit der ängstlichen Krankenschwester in der Notaufnahme und schämte mich. Garcia war nicht verseucht oder ansteckend, ermahnte ich mich, er war nur der Strahlung ausgesetzt gewesen und dadurch in Gefahr. Erstaunlich, dachte ich, wie leicht sich Angst über jegliche Logik hinwegsetzt. Ich stellte ihm Thornton vor, der Garcia darauf die Hand schüttelte und dann für ihn und Miranda je eine der praktischen kleinen Broschüren zückte.
»Na, prima«, sagte Miranda. »Jetzt geht’s mir doch gleich besser.« Thornton warf mir einen Blick zu, doch ich lächelte nur. Andere Menschen reagierten offenbar nicht so pessimistisch auf die Broschüre wie Miranda und ich. Sie wedelte mit der Hand in Richtung von Garcias Gerätschaften. »Was hat man Ihnen da alles angehängt, seit wir vor ein paar Stunden bei Ihnen waren?«
»Die Kabel hier führen zu den EKG-Elektroden, die mein Herz überwachen«, sagte er. »In dem Tropf sind Elektrolyte und physiologische Kochsalzlösung, um das zu ersetzen, was es mir oben und unten rausgehauen hat. Mit dem Schlauch können sie mir Blut abzapfen, ohne dass sie mich jedes Mal pieksen müssen. Die Krankenschwester mit dem Katheter konnte ich mir bis jetzt noch vom Leib halten.«
»Jeder Sieg zählt«, sagte ich. »So gut, wie Sie aussehen, Eddie, sind Sie morgen um diese Zeit bestimmt schon wieder draußen.«
Er schüttelte den Kopf. »Bei der Strahlenkrankheit täuscht die äußere Erscheinung«, sagte er. »Und Sie haben gehört, was Dr. Sorensen gesagt hat: Die Symptome verschwinden zwar, aber es ist nur eine Frage der Zeit, bis sie mit Macht wiederkommen. Sorensen hat viele Fälle von Strahlenkrankheit gesehen; wenn er sich Sorgen um mich macht, stecke ich wirklich in Schwierigkeiten.« Ich zuckte zusammen ob seines schonungslosen Realismus, doch ich bewunderte auch den Mut, mit dem er sich der Situation stellte.
Miranda drehte sich um und sah Thornton an. »Wer kann so etwas nur getan haben und warum, um Gottes willen? Es erscheint doch vollkommen sinnlos. Warum hat man den Alten nicht erschossen oder erwürgt? Oder einfach an Altersschwäche sterben lassen?« Ihre Stimme zitterte vor Zorn und Mitgefühl.
»Unsere Psychologen von der Täterprofilgruppe, die Profiler, befassen sich just in diesem Augenblick mit genau diesen Fragen.« Er sah aus, als wollte er noch etwas hinzufügen, doch dann überlegte er es sich noch einmal und schwieg.
Miranda sah das Zögern und hakte nach. »Was?«
»Nichts, wirklich«, sagte er. »Es ist nur … Kennen Sie das Rätsel des Albatros?«
Sie wirkte verdutzt. »Ähm, hat das etwas mit einem Matrosen zu tun, der einen Vogel erschießt und Unglück über ein ganzes Schiff heraufbeschwört?«
»Nein, das ist ein Gedicht«, sagte Thornton. »Ich meine ein Rätsel. Ein Mann kehrt von einer Reise zurück, betritt ein Restaurant, setzt sich und bestellt Albatros. Der Kellner bringt ihn, der Mann nimmt einen Bissen, eilt aus dem Restaurant, geht nach Hause und bringt sich um. Warum?«
»Kommt mir vor wie eine Überreaktion«, sagte ich. »Das muss ja ein sehr schlechter Albatros gewesen sein.«
»Es ist ein Ratespiel«, sagte Thornton. »Sie müssen raten, was passiert ist, bevor er das Restaurant betreten hat. Sie können mir Fragen stellen, die ich mit ja oder nein beantworten kann.«
»War es ein sehr schlechter Albatros?«
»Nein«, antwortete er lachend.
Miranda: »Aber seine Reaktion hatte etwas mit dem Albatros zu tun?«
»Ja.«
Ich: »War es ein leicht schlechter Albatros?«
»Irrelevant.«
»Das ist kein Ja oder Nein«, beharrte ich.
»Aber es ist hilfreich«, meinte Miranda, »und wir brauchen alle Hilfe, die wir kriegen können. Hatte er je zuvor Albatros gegessen?«
»Nein.«
Garcia: »War es von besonderer Bedeutung, dass es ein Albatros war?« Ja. »Hatte der Mann Schuldgefühle, weil er einen Albatros aß?« Nein.
Eine Reihe von Fragen
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