Dr. Bill Brockton - 04 - Todesstarre
ein, auf ein paar Sesseln Platz zu nehmen, die in einer Nische des Empfangsbereichs standen. Ich entschuldigte mich und spazierte an einer Reihe von Schautafeln mit Schnittzeichnungen des Beschleunigers, der Neutronenstrahlführungen und anderer experimenteller Einrichtungen vorbei. Einiges war mir viel zu hoch, doch ich begriff, dass Neutronen und die Art und Weise, wie sie abgelenkt oder zerstreut wurden, wenn sie von Materialien abprallten oder durch sie hindurchdrangen, Licht auf die Molekularstruktur von Metallen und Kunststoffen werfen konnte und sogar auf die Proteine, aus denen lebende Organismen aufgebaut sind.
Ich studierte gerade einen großen, quecksilbergefüllten Behälter – das Quecksilber diente anscheinend als riesiger Fanghandschuh, der den Neutronenstrahl stoppte, nachdem er durch sein Target hindurchgegangen war –, als Thornton mir auf die Schulter tippte. »Ich bin fertig«, sagte er. »Sind Sie so weit, oder wollen Sie noch ein bisschen studieren?«
»Ich bin so weit«, sagte ich. »Ich stecke bis zum Hals in Neutronen.«
Als wir das Gebäude verließen, sagte Thornton: »Ich wollte mit diesem Mann reden, um mehr über die Iridiumquellen für die Isotopenarbeitsgeräte zu erfahren – wer diese Quellen herstellt, wie und wo.«
»Und? Konnte er helfen? Hat er geholfen?«
»Er konnte«, sagte er. »Und er hat.«
»Und?«
»Jahrelang war die einzige Quelle für Iridium-192 in den USA der Hochflussreaktor hier in Oak Ridge.«
»Aber jetzt gibt es andere Quellen?«
»Nein. Nicht einmal im Hochflussreaktor wird es mehr hergestellt. Zu teuer. Jetzt wird es aus Reaktoren in Belgien, den Niederlanden und Südafrika importiert.«
»Es ist billiger, es im Ausland herstellen zu lassen und zu importieren?«
»Vermutlich«, sagte er. »Vielleicht subventionieren diese Regierungen die Isotopreaktoren besser, vielleicht sind die Sicherheitsstandards niedriger oder die Arbeitskräfte billiger. Wie auch immer, das verkompliziert unsere Bemühungen, herauszufinden, wo das Zeug herkam, um einiges.«
»Verdammt«, sagte ich. »Wenn das Zeug nur eine Halbwertszeit von vierundsiebzig Tagen hat, wieso ist da Zeit, es um die halbe Welt zu schippern?«
Er zuckte die Achseln. »Die transportieren auch Sushi von Tokio nach New York, und Sushi hat eine noch viel kürzere Halbwertszeit. Man braucht nur ein schnelles, zuverlässiges Liefersystem. Zum Teufel, Iridium-192 könnte per DHL oder FedEx verschickt werden, wenn die Sendung nicht riesig ist und der Behälter sicher.«
Ich wünschte fast, er hätte das nicht gesagt. Ich war mir nicht sicher, ob ich die Lieferwagen der Paketdienste je wieder mit denselben Augen betrachten würde.
26
»Wo möchten Sie zu Abend essen?«
Die Frage überraschte mich. »Verzeihung?« Ich hielt das Handy ein Stück vom Ohr weg und linste in der Hoffnung auf rasche Erleuchtung auf das Display. Doch die Nummer war mir unbekannt, auch wenn ich an der 482 sah, dass der Anruf aus Oak Ridge kam. »Oh« ,sagte ich, und auf meinem Gesicht breitete sich ein Lächeln aus. »Ich finde, Sie sollten wählen. Da ich vermute, dass Sie den Jackpot geknackt haben. Oder die Scheune gefunden.«
»Vielleicht«, sagte Isabella, die Bibliothekarin. »Wenn ich mich irre, erstatte ich es Ihnen zurück. Aber ich glaube nicht, dass ich mich irre.«
»Dann wählen Sie ein gutes Restaurant aus«, sagte ich. »Das beste in Oak Ridge.«
»Das beste in Oak Ridge? Das ist leicht.«
Neunzig Minuten später parkte ich meinen Pick-up auf dem Parkplatz neben dem Wildcat Stadion, dem Highschool-Football-Feld in Oak Ridge, einem der frühesten Wahrzeichen der Stadt. Das ursprüngliche Highschool-Gebäude war längst abgerissen und durch einen weitläufigen modernen Komplex ersetzt worden, der drei Kilometer von hier an der Turnpike lag, direkt gegenüber von Isabellas Stadtbücherei, doch das Stadion war noch da. In einer natürlichen Senke am Rand von Oak Ridge gelegen, kam einem das Stadion – das im Laufe der Jahre ziemlich viele Champions beheimatet hatte – vor wie ein typisches Kleinstadt-Amerika. Von da, wo ich parkte, konnte ich das Stadion sehen, die Kapelle auf dem Hügel und das Alexander Inn. So dicht zusammen wirkten sie wie eine Art architektonische Dreieinigkeit, die das menschliche Spiel, eine heilige Stätte und einen wissenschaftlichen Scheideweg verkörperte. Ein gewaltiges Erbe für eine so kleine Stadt.
Ich überquerte den Broadway, die zwei Blocks lange Straße, die das
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