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Dr. Bill Brockton - 04 - Todesstarre

Dr. Bill Brockton - 04 - Todesstarre

Titel: Dr. Bill Brockton - 04 - Todesstarre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jefferson Bass
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eingedrungen war. Jeder Jugendliche, der je mit einem Luftgewehr auf eine Fensterscheibe geschossen hat, ist diesem physikalischen Phänomen schon einmal begegnet, auf kleinerer und weniger tödlicher Ebene: Wenn das Geschoss auf das Glas trifft, erzeugt es eine Schockwelle, die sich auffächert und einen stetig größer werdenden Querschnitt aufsprengt, bis es auf der anderen Seite des Fensters unter einem Schauer winziger Scherben wieder herauskommt.
    Die Eintrittswunde lag etwa zweieinhalb Zentimeter oberhalb der Öffnung des rechten Ohrs; die perfekte Rundung legte nahe, dass die Kugel direkt auf die Mitte des Schädeldachs abgefeuert worden war, denn ein schräger Schuss hätte ein ovales Loch hinterlassen. Auf der linken Schädelseite war keine Austrittswunde. Ich schüttelte den Schädel kräftig und wurde mit einem Klappern belohnt. »Ich glaube, wir haben auch die Kugel«, sagte ich. »Wahrscheinlich Kaliber zweiundzwanzig. Die Eintrittswunde ist klein, und die Kugel hatte nicht genug Schwung, um auf der anderen Seite wieder rauszukommen.«
    »Genug Schwung, um ihre Aufgabe zu erledigen, hatte sie allerdings«, sagte einer der Detectives.
    »Schon komisch mit diesen Kaliber zweiundzwanzig«, sagte ich. »Sehen aus wie ein winzige Waffe, aber die Kugeln neigen dazu, im Schädelinnern immer wieder abzuprallen und das Gehirn komplett zu zermatschen. Manchmal richtet eine Kaliber zweiundzwanzig mehr Schaden an als ein großkalibriges Geschoss, das einfach durchsaust.«
    »Was meinen Sie, was er gerade gemacht hat«, sagte Emert, »als diese Kugel ihn traf?«
    »Er hat versucht, Atomgeheimnisse zu stehlen«, erklärte Thornton. »Oder versucht, den Diebstahl zu verhindern.«
    »Oder er hat die Frau oder die Freundin des Falschen angebaggert«, sagte ich.
    »Er hat um sein Leben gefleht«, warf Miranda ein.
    Außer der Uhr hatten wir bisher noch keine Gebrauchsgegenstände ausgegraben. Doch als wir jetzt die Knochen bargen und eintüteten, stieß ich auf sieben kleine Objekte, die in die Erde eingebettet waren. Sechs waren Metallknöpfe – einer im Bereich der Brust, wo eine Hemdtasche gewesen sein mochte, drei auf der Mittellinie des Körpers zwischen Brustkorb und Becken und einer an jedem Handgelenk. Das siebte Objekt, an der Taille, war eine rechteckige, olivgrüne Plastikschnalle, in der noch ein verfaultes Stück Stoff hing. Als ich Arpad die einzelnen Objekte reichte, so vorsichtig, als wären es kostbare Edelsteine aus einem Pharaonengrab, drängten sich die Polizeibeamten um ihn, um sie zu inspizieren. Beim Anblick der Schnalle sprach Emert aus, was ich gedacht hatte: »Der Typ hat einen Armeeoverall getragen. Ich hab den von meinem Vater immer noch in einer Truhe auf dem Speicher.« Im Grab fanden sich weder Münzen noch Schlüssel, weshalb ich vermutete, dass die Taschen geleert worden waren. Daher war ich zwar enttäuscht, dass das Grab keine Hundemarke enthielt, aber nicht überrascht.
    »Wir haben hier also einen toten GI aus dem Zweiten Weltkrieg«, sagte Emert. »Toll. Davon gab es hier in Oak Ridge ungefähr, na, zehntausend vielleicht?«
    Ich dachte, wir wären fertig – wir hatten uns durch die Knochen bis hinunter zur Erde gearbeitet –, doch da löste sich unter meiner Kelle ein Lehmklumpen. Bloß dass es kein Lehm war. Ein Stück davon brach ab, und dabei kamen in der Erde seltsame Streifen zum Vorschein. Bei genauerer Betrachtung erkannte ich eine rechteckige Form, rund dreißig Zentimeter lang und nicht ganz so breit, die ein wenig blasser war als der Rest des roten Lehms, der das Grab säumte. Ich drückte vorsichtig auf die Kante, die ich freigelegt hatte. Die Streifen waren ziemlich dünn, papierdünn, erkannte ich, als mir aufging, welche Proportionen das Rechteck hatte. »Ich weiß nicht, was der Mann gemacht hat, als er starb«, sagte ich, »aber es scheint, als hätte es etwas mit einem mächtig dicken Papierstapel zu tun gehabt.«

29
    Ich hoffte, die Knochen würden uns mehr über den toten Soldaten erzählen als der Papierstapel. Offiziell war er Fall 09-02, der zweite forensische Fall im Jahr 2009, doch eine Nummer war ein jämmerlicher Ersatz für einen Namen.
    Ein Kollege vom Fachbereich Landwirtschaft an der University of Tennessee, ein Wissenschaftler am Institut für Forstwirtschaft, hatte bestätigt, dass der rechteckige Klumpen, den wir aus dem Grab geborgen hatten, tatsächlich ein Stapel Papier war. Anhand der Dicke schätzte er ihn auf vier- bis fünfhundert Seiten,

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