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Dr. Bill Brockton - 04 - Todesstarre

Dr. Bill Brockton - 04 - Todesstarre

Titel: Dr. Bill Brockton - 04 - Todesstarre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jefferson Bass
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die Erde ab. Gelegentlich war ich gezwungen, die Kelle gegen eine kleine Gartenschere zu tauschen, um Wurzeln abzuschneiden, die sich an die Knochen klammerten.
    Als die Rückseite des Schädels sichtbar wurde, sah ich an der Schädelbasis eine markante Unebenheit. Die Beule – der äußere Hinterhauptshöcker – hatte im Nacken einst als Ansatzpunkt für Muskeln gedient. Das Aussehen und die Auffälligkeit der Beule verrieten mir, dass das Skelett definitiv das eines Mannes war, und zwar eines recht kräftigen Mannes. Anhand der Größe des Humerus und der Muskelspuren daran war ich mir, was das Geschlecht anging, schon ziemlich sicher gewesen, ganz zu schweigen von der Armbanduhr, aber der äußere Hinterhauptshöcker bestätigte meine Vermutung.
    Der Kopf war verdreht, sodass das Gesicht, statt nach unten zu zeigen, zur linken Schulter blickte, und zudem in einem seltsamen Winkel ein wenig nach hinten abgeknickt. Einen Augenblick lang überlegte ich, ob der Hals gebrochen war – schwer zu sagen, da kein Weichgewebe mehr vorhanden war –, doch diese Theorie verwarf ich rasch zugunsten einer anderen, einfacheren Erklärung: Die Leiche war in den Krater gerollt worden und war leicht schief liegen geblieben.
    Da wir zu dritt gruben, ging die Arbeit ziemlich rasch voran. Trotzdem wurde es Nachmittag, bis wir uns um das ganze Skelett herumgearbeitet hatten. Statt einen Knochen nach dem anderen zu bergen, ließen wir das Skelett an Ort und Stelle, bis wir es vollständig freigelegt und auf allen Seiten nach unten gegraben hatten, sodass die Knochen auf einer erhöhten Bodenschicht lagen, quasi wie auf einem Podest. Das Weichgewebe war vollständig verwest, genau wie die Kleidung, bis auf die dünnen, bröckeligen Reste der Ledersohlen seiner Schuhe.
    Eine nach der anderen trennten Miranda und ich die restlichen Wurzeln des Tulpenbaums durch, um die Knochen aus ihrem Griff zu befreien. Als wir alle Wurzeln abgeschnitten hatten und den Baumstumpf des Tulpenbaums von dem Torso hochgehoben hatten, sah auch der Stumpf skelettartig und verstümmelt aus.
    Der Torso war eine Herausforderung. Normalerweise bricht eine Leiche in einem Grab allmählich zusammen, der gewölbte Brustkorb flacht ab, wenn die Knorpel sich zersetzen und die Rippen sich von der Wirbelsäule und dem Brustbein lösen. Doch in diesem Fall hatte das Gitterwerk der Baumwurzeln die Rippen gehalten.
    Inzwischen war ich fast vier Stunden auf allen vieren herumgekrochen, also stand ich ächzend auf und kletterte aus dem Loch, das wir gegraben hatten. Ich entschuldigte mich bei den anderen, spazierte in den Wald, verschwand hinter einem großen Baum und machte eine dringend nötige Pinkelpause. Arpad und Miranda eilten in andere Richtungen und taten es mir nach. Im Laufe der Jahre hatte ich schon Doktorandinnen gehabt, für die es vor Ort ein rechtes Problem gewesen war, keine Toilette in der Nähe zu haben, doch Miranda hatte ihr Schamgefühl in solchen Dingen längst über Bord geworfen. »Oh, gütiger Himmel«, hatte sie einmal eine zimperliche Kommilitonin ausgeschimpft, »wir sind hier, um die verwesten Därme eines Toten auszubuddeln, und du bist dir zu fein, um hinter einen Strauch zu pinkeln? Bring’s schon hinter dich.« Aus einem Kiefernwäldchen rund fünfzig Meter weiter hörte ich einen Schrei. »Himmel, Arsch und Zwirn«, rief Miranda, »ihr Kerle habt ja keine Vorstellung davon, wie kalt es hier draußen ist.«
    »Das nächste Mal bringe ich extra für Sie einen Powärmer mit«, konterte Arpad.
    Sobald wir wieder versammelt waren, fotografierte ich das Skelett aus allen Blickwinkeln, machte Total- und Nahaufnahmen. Als Nächstes würden wir die Knochen von dem Podest im Grab bergen. Ich bat Miranda, das Inventar der Skelettteile – die Liste aller Knochen – zu führen, und Arpad, die Knochen in Asservatenbeutel zu stecken.
    Mit dem Schädel fing ich an. Als ich ihn aus der Erde barg, hochhob und drehte, bekam ich einen ersten Blick auf das rechte Schläfenbein, den ovalen Knochen direkt über dem Ohr. In dem Knochen war ein kleines, scharf abgegrenztes Loch. Die Stelle entsprach exakt dem dunklen Kreis am Kopf des Toten auf Leonard Novaks Fotos. »Du bist es«, sagte ich zu dem Schädel. »Du bist es wirklich.«
    Das Loch hatte außen einen Durchmesser von etwa sechs Millimetern, doch je tiefer es in den Knochen ging, desto größer wurde es. Die Schrägung war das unverkennbare Kennzeichen dafür, dass eine Kugel in den Schädel

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