Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Dr. Gordon verliebt

Dr. Gordon verliebt

Titel: Dr. Gordon verliebt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Gordon
Vom Netzwerk:
fragte ich, als der alte Kellner mit der Käseplatte weggekeucht war.
    «Du lieber Himmel! Das ist eine schwer zu beantwortende Frage.»
    «Ist es überhaupt eine Frage? Wahrscheinlich fühlt man sich dabei wie jeder andere Arzt.»
    «Nun, manchmal führt es zu Komplikationen.»
    «Verschonen Sie mich bitte mit dieser Erinnerung», bat ich errötend.
    Sie lachte. «Ihren Empfang habe ich schon vollkommen vergessen. Doch ich finde, alle straucheln über das Problem, sich Ärztinnen gegenüber fair zu verhalten. Manchmal ist der eine oder der andere Examinator recht barsch mit unsereinem, aber nur aus dem Grund, weil er Angst hat, in der entgegengesetzten Richtung voreingenommen zu sein. Man macht uns das Leben wirklich zu leicht. Was ja wieder erfreulich ist, wenn man bedenkt, wie unsere Vorläuferinnen aussahen.»
    «Sie meinen wohl Sophia Jex-Blake und deren Freundinnen, die in Edinburgh so unliebsames Aufsehen erregten?»
    «Ja. Ist es nicht ein Jammer, daß es nichts Unfraulicheres gibt als eine Frauenrechtlerin?»
    «Ich kenne tatsächlich einige recht streitlustige Akademikerinnen», gab ich zu. «Aber Sie sehen wirklich nicht so aus.»
    «Nun, dann werde ich jetzt für die Frauenrechte eintreten. Ich werde das halbe Abendessen bezahlen.»
    «Unsinn!»
    «Da haben Sie’s — schon sind Sie in Ihrer Mannesehre gekränkt. Jetzt sehen Sie selber, wogegen wir Frauen die ganze Zeit zu Felde ziehen.»
    «Es handelt sich hier nicht um die Mannesehre», gab ich ihr zu bedenken. «Sondern um gute Manieren.»
    «Wobei das eine oft für das andere genommen wird. Ärztinnen erhalten dieselbe Bezahlung, folglich geschieht ihnen recht, wenn sie dieselben Auslagen haben. Schließlich speisten wir nur zusammen, um dabei die Praxis zu besprechen.»
    Das gestand ich zu.
    «Und nun noch etwas, Richard — wir wollen doch unsere Beziehungen auf einer rein beruflichen Basis beruhen lassen, nicht wahr?»
    Auch dies gestand ich ihr zu.
    «Ich meine, es Wäre nicht gut, wenn es nicht dabei bliebe.»
    «Nein, gewiß nicht. Wäre schlecht für die Patienten, und so weiter.»
    «Gut», sagte sie und langte nach ihrer Handtasche. «Aber wenn Sie Wert darauf legen, können Sie das Trinkgeld für uns beide zahlen.»

    Ich erkannte, daß Nicki instinktiv recht hatte, wenn sie von allem Anfang an unsere Beziehungen zu einer streng geschäftsmäßigen stempelte. Wie konnte ich mich auch erdreisten, fragte ich mich am nächsten Morgen, meine Gesellschaft einem derart entzückenden Mädchen aufzudrängen, nur weil der Zufall sie an denselben Ort wie mich geführt hatte? Während ich zu meiner Besuchsrunde aufbrach, fiel mir ein, daß Nicki schon seit der Zeit, da sie ihre Schulkittel zu Staubfetzen zerriß, auf gleichem Fuß mit Männern gestanden hatte und jetzt wohl die jeunesse dorée des Landes zu ihrem Gefolge zählte. Ich bedeutete nicht mehr als einen flüchtigen Passanten auf ihrem Weg, und in Zukunft würde es angezeigt sein, mich ihr ausschließlich in klinischen Belangen zu nähern.
    An diesem Abend erhielt ich zufälligerweise eine Reihe Kardiogramme aus dem Spital, in die ich mich besonders eingehend versenken wollte. Das Zickzack der P-Q-R-S-T-Wellen des Herzschlags gab mir ähnliche Rätsel auf wie die vagen Schattengebilde auf Röntgenaufnahmen; das einzige, was mir davon im Gedächtnis geblieben war, waren die scherzhaften Worte des alten Herzspezialisten: «Ein verfrühtes P kommt stets nach dem T.» Ich zerbrach mir im einsamen Sprechzimmer den Kopf über die Zackenlinien, bis mir einfiel, daß Nicki vielleicht mehr davon verstehen könnte als ich. Meine Pflicht den Patienten gegenüber erforderte es, eine zweite Meinung einzuholen.
    «Hoffentlich störe ich Sie nicht», sagte ich, als ich an der Türe von Dr. Farquarsons Zimmer geläutet hatte; ich hatte darauf bestanden, daß sie sich dort niederließ.
    «Nicht im geringsten, Richard. Habe nur einige alte Skripten durchgesehen. Treten Sie ein.»
    Überrascht stellte ich eine Veränderung fest. Doktor Farquarsons Sinn für Innendekoration hatte sich größtenteils in eingerahmten Gruppenphotos seiner ehemaligen Mitschüler ausgelebt — die Gesichter der Verstorbenen waren mit Briefmarken überklebt —, in schmierigen Eingeborenenschnitzereien, die er auf seinen Reisen gesammelt hatte, in dauerhaft ausgestatteten Klassikerausgaben und ordentlich ausgerichteten Stößen des British Medical Journal und der Lancet. Nicki hatte in die beiden Repräsentationsgläser Blumen getan

Weitere Kostenlose Bücher