Dr. Gordon verliebt
konnte am nächsten Tag die Ankunft meines neuen Kollegen nicht ab warten, da ich annahm, daß meine Vormittagsrunde mindestens bis ein Uhr mittags dauern würde.
«Sagen Sie ihm, er soll seinen Wagen hinterm Haus parken», trug ich Miss Strudwick auf. «Ich werde nach Hause kommen, sobald es mir möglich ist. Bereiten Sie ihm eine Tasse Tee, wenn er wie ein Teetrinker aussieht. Aber ich bin überzeugt, Sie werden ihn schon zu unterhalten wissen.»
Eine volle Stunde mußte ich an das schwierige Unternehmen wenden, einen Anstaltsarzt zu überreden, einen Fall von Lungenentzündung im Spital aufzunehmen, und es war fast zwei Uhr geworden, als ich zurückkehrte. Ich war sowohl verärgert wie beunruhigt, Barrington nicht vorzufinden. Plötzlich kam mir der Gedanke, er könnte einen besseren Posten gefunden und mich im Stich gelassen haben; und nun würde ich mit dem öden Annoncieren wieder von vorne beginnen müssen. Zu dieser Stunde des Tages waren Diele und Wartezimmer leer, Miss Strudwick war essen gegangen. Die einzige Person, die ich vorfand, war wieder einmal eine von Grimsdykes klinischen Marketenderinnen.
«Tut mir sehr leid», sagte ich beim Eintreten. «Aber Sie vergeuden Ihre Zeit. Der Posten ist bereits besetzt. Guten Tag.»
Sie blickte enttäuscht drein. Ich bedauerte es selbst, denn sie war eine hübsche kleine Blondine in einem schwarzen Kleid und sah viel ordentlicher aus als Kitten Strudwick.
«Schon besetzt?» Sie runzelte die Stirne.
«Leider kann ich wirklich nichts dafür. Ich bin Doktor Gordon. Wenn Sie jemand glauben machte, es sei hier ein Posten frei, so war es mein Partner, und der ist auf Nimmerwiedersehen weg. Es ist ja peinlich, aber ich kann jetzt nichts machen. Guten Tag.»
Sie stieß einen leichten Seufzer aus. «Dann muß ich also wieder heim?»
«Ja, leider.»
«Ich muß schon sagen, Doktor Gordon, ob nun ein Mißverständnis vorliegt oder nicht, es war mir nicht gerade sehr angenehm, den ganzen Weg vom Zentrum Londons hierherzukommen.»
«Vom Zentrum Londons? Großer Gott! Bietet er nun in sämtlichen Tanzlokalen Londons Posten an?»
«Ich verstehe nicht ganz —»
«Haben Sie Doktor Grimsdyke vielleicht nicht in einem Tanzlokal kennengelernt?»
«Gewiß war ich einmal tanzen. Voriges Jahr in der Tottenham Court Road. Und wenn es Sie interessiert, es hat mir dort sehr gut gefallen. Aber ich habe mich mit einem Doktor Grimsdyke weder in einer derartigen noch in einer weniger reizvollen Umgebung auf gehalten, noch habe ich ihn je kennengelernt.»
«Ja, aber woher erfuhren Sie denn dann um alles in der Welt, daß —»
In meiner Studienzeit am St. Swithin hatte ich mir unter meinen Kameraden den einigermaßen schmeichelhaften Ruhm erworben, die Angehörigen des Ärztestabes glänzend imitieren zu können. Ich pflegte den Lehrgang oft mit derartigen Vorführungen zwischen zwei Operationen oder während wir darauf warteten, daß ein unpünktlicher Professor die Saalrunde antrete, zu ergötzen. Obwohl ich fast alle Manieriertheiten unserer führenden Größen nachzuahmen verstand, waren sowohl mein Publikum wie auch ich darin einig, daß mein Meisterstück in der Imitation Sir Lancelot Spratts, des Vorstandes der chirurgischen Abteilung, bestand. Ein wenig Watte als Bartersatz um den Mund befestigt — und meine Wiedergabe seiner Vorlesung über chronische Harnverhaltung bei alten Leuten vermochte selbst den ernstesten Studenten ein Lachen zu entlocken. Niemals lieferte ich eine gelungere Vorstellung als an jenem Nachmittag, da ich, zehn Minuten vor Beginn der Vorlesung Sir Lancelots, dessen eigenes Vortragspult als Schauplatz erwählte. Das Gelächter meiner Kameraden erreichte fast den Grad der Hysterie, als ich seine Schilderung der Schwierigkeiten des Patienten bei einem Picknick wiedergab. Bei diesem Punkt angelangt, wurde mir mein glänzender Erfolg etwas unheimlich, und als ich mich nervös umwandte, sah ich Sir Lancelot als Zuschauer mit verschränkten Armen in der Türe des Hörsaales stehen. Meine Gefühle von damals erlebte ich nun haargenau in der Ordination Dr. Farquarsons wieder.
«Sie...», stotterte ich, sie anglotzend. «Sie... Sie sind an Stelle Doktor Barringtons hier?»
«Ich bin Doktor Barrington.»
«Doktor Nicholas Barrington?» Ich griff nach dem Brief auf meinem Schreibtisch.
«Nichola Barrington. Es wäre doch wirklich ein merkwürdiger Zufall, wenn zwei Personen gleichen Namens sich beworben hätten, finden Sie nicht?»
«Tut mir entsetzlich
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