Dr. Gordon verliebt
Diese zerfielen einerseits in Pessimisten, die sich dicke Tweedröcke und dicke Brillengläser erwarteten, und andererseits in verschiedenartig eingestellte Optimisten, die nach Sexbomben Ausschau hielten. Am Ende entpuppten sich die neuen Studentinnen als eine Schar, die in nichts von jeder anderen Schar junger Frauen des Mittelstandes unterschieden war, und binnen einer Woche nahm man keine besondere Notiz mehr von ihnen. Zum Ausgleich erfuhren wir indessen, daß man die medizinische Schule für Frauen in der Gray’s Inn Road veranlaßt hatte, auch männliche Studenten aufzunehmen.
Als ich das St. Swithin auf Nimmerwiedersehen verließ, fanden noch immer gelegentliche Auseinandersetzungen statt, ob Frauen ebenso gute Ärzte abgeben wie Männer. Bezüglich Nichola Barringtons, die übrigens Nicki genannt zu werden pflegte, konnte kein Zweifel aufkommen. Sie besaß solide akademische Kenntnisse und praktische klinische Talente; sie hatte es heraus, mit Patienten umzugehen, die alt genug waren, um ihr Großvater, und jung genug, um ihr Freund zu sein; und sie hatte eine besondere Begabung für die Behandlung kranker Kinder, was mir vor allem deswegen behagte, weil ich schon seit langem die Meinung vertrat, dieses Gebiet der Medizin sei der Tierheilkunde gleichzusetzen, und nie imstande war, das Entzücken der Mutter zu teilen, wenn der kleine Patient durchaus die Krawatte des Arztes verspeisen will oder sein Hemdchen bespeit. Meine Kinderbehandlungen endeten gewöhnlich in Balgereien und wildem Gebrülle und schufen zweifellos die Basis für etliche peinliche Neurosen im späteren Lebenslauf, und ich war selig, sämtliche Patienten, die im Kinderwagen vorgefahren kamen, meiner neuen Assistentin zuschieben zu können.
«Sie scheinen geradezu der neueste Schlager von Hampden Cross zu werden», sagte ich Nicki einige Tage nach ihrer Ankunft. «Heute wurde ich schon zweimal mit enttäuschter Miene empfangen und man verlangte nach der .»
«Die Begeisterung wird sich schon wieder legen», erwiderte sie bescheiden. «Augenblicklich will man einfach das Monstrum begaffen.»
«Ich würde Sie kaum als ein Monstrum bezeichnen, Nicki. Aber ich muß Ihnen meine Freude darüber ausdrücken, wie rasch Sie Fuß gefaßt haben. Einige Patienten können am Anfang recht schwierig sein, speziell in der Neustadt. Sie sind offenbar der Ansicht, man mache seine Bürgerrechte geltend, wenn man zum Arzt grob ist.»
«Nun, ich muß Ihnen gestehen, daß ich zu Beginn schrecklich nervös war.»
«Wegen der Patienten?»
«Nein, Ihretwegen.»
«Meinetwegen? Wieso, um Himmels willen?»
«Während meiner ganzen klinischen Laufbahn — die sich nun fast über zwölf Monate erstreckt — habe ich entdeckt, daß, entgegen allen anderslautenden Behauptungen, die Männer ja doch glauben, sie seien den Frauen in der Medizin und im Autolenken wesentlich überlegen. Aber Sie waren wirklich ausgesprochen reizend zu mir.»
Ich lachte. «Apropos, wenn wir schon vom Autolenken sprechen...» Ich begann mit einer Spritze, die auf dem Bestecktisch lag, zu spielen. «Hätten Sie vielleicht Lust, heute abend ein bißchen aufs Land hinauszufahren und draußen das Abendbrot zu nehmen? Wir könnten es mit dem versuchen — es ist ein renommiertes Ausflugslokal, wissen Sie, mit messingenem Pferdegeschirr rund um den Kamin, Zugluft unter den Türritzen und rheumatischen Kellnern. Das Essen ist dort recht akzeptabel. Wir könnten den alten Rogers bitten, für uns beide die Stellvertretung zu übernehmen.»
Sie warf mir einen skeptischen Blick zu.
«Ich dachte, ich könnte dabei vielleicht Gelegenheit finden, Sie ein bißchen mit der Praxis vertraut zu machen», fuhr ich fort. «In der entspannten Atmosphäre eines gedeckten Tisches sagt sich nämlich alles besser. Es ist so schwierig, im Trubel der Ordination alles zu bedenken.»
«Schön», willigte sie ein. «Ich muß zwar gestehen, als ich das Allgemeine verließ, machte ich mich darauf gefaßt, monatelang abends nicht mehr auszugehen.»
Unter dem auftauenden Einfluß des Roastbeefs und des Yorkshire-Puddings im «Ochsen» kamen wir in angeregtes Plaudern. Bei der Suppe hatte ich begonnen, darüber zu sprechen, wie man mit Patienten verfährt, die mitten in der Nacht verrückt werden, doch bald waren wir in ein allgemeines Gespräch über Spitäler und Anstaltsärzte, Studenten und Schwestern, Patienten und Lustbarkeiten verwickelt.
«Wie fühlt man sich eigentlich als Ärztin?»
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