Dr. Gordon verliebt
«Wer hat mich erwischt?»
«Aber gehn Sie!» Sie gab mir mit dem Perkussionshammer einen scherzhaften Schlag. «Ich hab immer Doktor Grimsdyke für recht gefährlich gehalten. Aber es stimmt schon — vor den stillen Wassern muß ein Mädel am meisten auf der Hut sein.»
«Ich habe leider nicht die leiseste Ahnung, worauf Sie anspielen, Miss Strudwick.»
«Na so was! Hätte nie gedacht, daß ich einem Arzt Aufklärungsunterricht erteilen müßte. Wen wollen Sie jetzt drannehmen? Die alte Ziege mit der Arthritis oder den Oberst mit den Hammerzehen?»
13
ALS ICH AM NÄCHSTEN MORGEN in die Ordination kam, fand ich einen beunruhigenden Brief Grimsdykes vor. Der Umschlag war mit dem Poststempel FOULNESS versehen, doch das amtlich aussehende Briefpapier trug keine Überschrift.
Das Schreiben lautete:
«Lieber alter Junge,
Schamgefühl hindert mich, Dir zu gestehen, wo ich mich befinde. Ach, wie hätte ich’s mir auch in jenen sonnigen Tagen zu St. Swithin träumen lassen, daß ein Grimsdyke je einem derartigen Glückswechsel unterworfen sein könnte! Doch dies ist eben die ausgleichende Gerechtigkeit. Stets war ich der Meinung, sei eine verdammt blöde Redewendung, aber nun, da ich in meiner gegenwärtigen läuternden Umgebung dahinschmachte, habe ich Zeit zum Nachdenken gefunden. Ich hab mich in Hampden Cross wie ein regelrechter Narr benommen, alter Junge. Du hättest mich noch viel früher, als Du’s tatest, mit einem Tritt auf die Straße setzen sollen. Ich kann Dich nur bitten, mir zu glauben, daß ich voll der besten Absichten gehandelt habe, und kann nur hoffen, daß die Freundschaft unserer Jugendtage weiter erhalten bleibe. Könntest Du mir vielleicht zufälligerweise mit fünfundzwanzig Pfund aushelfen? Ich werde Samstag bei Morgengrauen freigelassen und könnte Dich im St. Swithin zur Lunchzeit bei einem Glas Bier treffen. Bitte bring das Geld mit.
Herzlichst Dein
Grim.»
«Großer Gott!» sagte ich zu Nicki und reichte ihr den Brief. «Der arme Kerl ist im Kittchen gelandet, wenn mich nicht alles täuscht.»
«Foulness?» Sie besah sich den Umschlag. «Mir ist nicht bekannt, daß sich dort eine Strafanstalt befindet.»
«Entweder sitzt er im Kittchen oder im Irrenhaus. Armer alter Grim! Jetzt ist es endgültig Essig mit seiner Karriere.»
Bittere Reue quälte mich wie der Nachgeschmack von einem scheußlichen Arzneimittel. Ich saß auf dem Schreibtisch und starrte düster auf den Rezeptblock.
«Machen Sie sich keine Sorgen», sagte Nicki freundlich. «Es ist vielleicht nicht so schlimm, wie es aussieht.»
«Bei Grimsdyke ist es meist so schlimm», erwiderte ich. «Und dabei ist das Ganze einzig und allein meine eigene Schuld. In Wirklichkeit ist er ein prachtvoller Kerl, der alte Grim. Wir kennen einander seit meinem ersten Tag im St. Swithin. Ich kann mich noch gut erinnern — er brachte mir bei, wie man aus Hör-sälen entwischt, ohne daß man es vorne bemerkt. Jahrelang haben wir miteinander unsere Lehrbücher und unser Bier geteilt. Und nun sitzt der unselige Bursche im Kerker, weil ich ein bißchen vorschnell handelte und ihn aus dem ersten regulären Posten hinausschmiß, den er je gehabt hatte.»
«Hätten Sie’s nicht getan», sagte Nicki, «wäre Ihnen das Mißgeschick erspart worden, mich aufzunehmen.»
«O Gott! Bitte um Verzeihung, Nicki! Ich wollte nicht einen Augenblick lang sagen —»
«Davon bin ich überzeugt.»
«Aber ich kann nicht anders — mir tut der arme Grim schrecklich leid. Ich muß mich Samstag mit ihm treffen. Das ist das mindeste, was ich tun kann. Macht es Ihnen was aus, meinen Dienst zu übernehmen? Jetzt muß ich zur Bank springen und fünfundzwanzig Pfund abheben. Wahrscheinlich rettet ihn nichts vor dem Hungertod als der Fürsorgeverein für Strafgefangene, oder wie immer dieses Zeug heißt.»
Am nächsten Samstagmorgen fuhr ich mit bangen Gefühlen nach London; ich wünschte, ich hätte den Unternehmungsgeist meines Freundes großzügiger fördern können. Außerdem machte ich mir Sorgen darüber, was ich Dr. Farquarson sagen sollte, wenn ich ihm im Neurologischen Spital einen Besuch abstattete; er war vor einigen Tagen schließlich doch unter das Messer seines alten Studienkollegen geraten.
Ein englisches Spital ist gleichzeitig ein Klub, und die ehemaligen Graduierten St. Swithins trafen einander oft im muffigen Gemeinschaftsraum der Studenten, dessen Sofas so wenig einladend wirkten wie
Weitere Kostenlose Bücher