Dr. med. Erika Werner
ist das, was man Liebe nennt, wenn von ihr nichts weiter übrig bleibt als ein schaler Geschmack. Er betrachtete Helga Herwarth, wie sie im Mondlicht stand. Groß, schlank, mit über die Schultern fließenden schwarzen Haaren. Das Gesicht einer spanischen Madonna. Aber die brennenden Augen einer Zigeunerin aus den Höhlen von Granada. Sieben Wochen lang hatte er sie erobert, bis sie in seinen Armen lag. Eine Tigerin, die ihn zerriß, die mit den Nägeln seine Rückenhaut abzog, die keine Stunden mehr kannte und keinen Tag und keine Nacht … Ein feuriger Rausch, der ihn fast verbrannte.
Was war geblieben? Eine Erinnerung, ein bitterer Geschmack im Gaumen und ein Skandal, der ihn zwang, etwas zu tun, was er sich nie zugetraut hätte, wenn man ihn früher danach gefragt hätte.
Und Haß war geblieben. Haß zwischen ihnen beiden. Tödlicher Haß.
»Komm jetzt endlich!« sagte er ziemlich grob und riß sie mit sich fort. »Was wir sagen wollten, ist gesagt. Nun verdirb nicht weiter den Abend. Sei zufrieden, daß alles so wird, wie du willst …«
»Du belügst mich nicht? Du hältst mich nicht nur hin? Du tust es wirklich?«
»Ja!«
»Und wenn du es getan hast, will ich dich nie, nie wieder sehen! Aber ich werde dich mit dieser Schuld für immer in der Hand haben, Alf …« Ihre Augen sprühten. Der Gedanke seiner Abhängigkeit verdrängte alles. Sogar den Haß.
»Man sollte dich wirklich umbringen!« sagte Bornholm dumpf. »Wenn man nicht so wahnsinnig feig wäre –«
Langsam, Arm in Arm wie ein glückliches Liebespaar, gingen sie aus dem Park hinaus zum Parkhaus. Die großen Kandelaber an der Freitreppe des Lokals hüllten sie in gleißendes Licht.
Bornholm sah Helga von der Seite an. Ihr Gesicht zeigte keine Spur von Erregung mehr. Es war voll unverhüllten Triumphes.
»Der große Bornholm hat Angst!« Sie lachte aufreizend. »Wenn das die Welt wüßte –«
»Schweig!« zischte er und trottete ihr nach ins Lokal … wie ein geprügelter Hund.
Drei Tage lang sah Erika Werner den 1. Oberarzt nicht.
Die Operationen machte er zusammen mit dem Chef, die Visiten übernahm der 2. Oberarzt. Auch im Labor war er nicht erschienen. Der alte Tierwärter und Nachtwächter der Klinik konnte es nicht erklären.
»So etwas hat's noch nie jejeben«, versicherte er. »Jede freie Minute war er hier! Koko hat schon Heimweh.«
Ein paarmal saß Erika vor dem Telefon und wollte ihn anrufen. Aber dann unterließ sie es. Er hat jetzt andere Interessen, dachte sie bitter. Er ist verlobt. Jede freie Minute wird er jetzt mit dieser Petra verbringen und nicht mehr mit Ratten, Meerschweinchen und Affen. Und erst recht nicht mit einer kleinen Assistenzärztin, die so reizlos ist wie hunderttausend andere alltägliche Mädchen. Aber auch so voller unterdrückter Liebe, gegen die sie sich nicht wehren konnte, obwohl sie wußte, daß es sinnlose Gefühle waren.
Plötzlich stand Dr. Bornholm vor ihr. Nach einem kurzen Anklopfen trat er in ihr Zimmer und zog hinter sich die Tür zu. Sein Gesicht war in diesen drei Tagen merklich gealtert. Es sah gelblich aus, zerknittert wie angesengtes Pergamentpapier. Überdeutlich hoben sich davon die weißen Schläfen ab und die scharf geschnittene Nase.
»Herr Oberarzt?« fragte Erika Werner und setzte sich auf ihrem Sofa gerade. »Ist etwas Besonderes?«
»Ja.« Dr. Bornholm blieb an der Tür stehen. »Wir haben uns lange nicht gesehen.«
»Drei Tage. Ist das lang? Auf Station ist alles in Ordnung. Zwei Frischoperierte auf Wachstation eins. Die Gallenblase ist sehr schlecht dran …«
»Sie haben sich über mich geärgert, nicht wahr?«
»Das steht einer Assistentin nicht zu, Herr Oberarzt.«
»Ich war sehr beschäftigt …«
»Ich weiß.« Erika stand auf. »Ich hatte ganz vergessen, zu gratulieren. Darf ich es nachholen? Zur Verlobung wünsche ich Ihnen alles Gute und –«
Sein Gesicht wurde noch zerknitterter als zuvor.
»Fräulein Werner … ich bin zu Ihnen gekommen, um Ihnen eine Erklärung abzugeben.«
»Schon wieder? Warum eigentlich?« Erika Werner wandte sich ab.
Bornholm lehnte sich gegen die Tür.
»Sie beneiden mich, wie alle anderen?«
»Beneiden, warum?«
»Ich bin Dozent für Chirurgie. Ich habe mir einen Namen als Operateur gemacht. Ich bin Erster Oberarzt der Universitätsklinik. Ich werde der Schwiegersohn des Ordinarius sein. Ich habe alle Türen eingerannt … was will ein Mensch mehr, nicht wahr? Was ein Mann in meinem Alter erreichen kann, das habe ich mir
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