Dr. Ohio und der zweite Erbe
vorangeht. Auf meine Anzeigen hat sich nämlich niemand gemeldet.“
Welch seltsamer Zufall, dachte Ohio und sah die Gesichter von Laudtner und Wieri vor seinem geistigen Auge aufsteigen. Die Buschtrommeln funktionierten gut hierzulande.
„Zufällig habe ich gestern Abend in der Bibliothek ein Bild mit den Namen der Neffen entdeckt“, sagte er und nahm das Foto in die Hand. „Ich hatte es schon nicht mehr für möglich gehalten ... Aber jetzt dürfte es nicht mehr so schwierig sein, die beiden ausfindig zu machen.“
„Das ist ja wunderbar!“, rief Dr. Laudtner am anderen Ende begeistert. „Wie heißen sie denn? Ich kann mich ja gleich mal dranmachen ... Schließlich haben Sie ja noch einen Nebenjob.“ Er lachte jovial ins Telefon.
Ohio zögerte. Sollte er dem Anwalt die Namen der beiden preisgeben? Dann schüttelte er unwirsch den Kopf. Warum denn nicht?, dachte er. Selbst wenn Wieri ihn angerufen und verständigt hatte ... Was sollte schon dabei sein? Nur, weil er Laudtner nicht leiden konnte, hieß das ja nicht automatisch, dass er ein unsauberes Spiel spielte.
„Karl und Boris Schmidt“, sagte er, und beim lauten Aussprechen der Namen fiel ihm plötzlich ein, dass Höpfner die beiden ihm gegenüber bereits erwähnt hatte. Beiläufig, an einem späten Abend, sie hatten ihr Schachspiel bereits beendet. „Und die Mutter heißt Martha Schmidt, geborene Höpfner.“
Dr. Laudtner lachte gekünstelt. Kurz herrschte Schweigen.
„Ja, danke. Also dann ...“, sagte Laudtner.
„Aber, Dr. Laudtner“, unterbrach Dr. Ohio ihn. „Bitte unternehmen Sie nichts, bevor ich bei Ihnen bin. Ich werde dann meine Gehülfin bitten, mich zu Ihnen in die Kanzlei zu fahren.“
„Doktor. Das ist nicht nötig, wirklich. Ich werde mich um alles kümmern.“ Dr. Laudtners Stimme klang ein wenig gereizt, und das lag nicht ausschließlich am gestrigen Abend.
Aber Dr. Ohio war unerbittlich. „Ich muss darauf bestehen. Sie wissen, was im Testament verfügt wurde, und ich fühle mich verpflichtet, das einzuhalten.“
Wieder herrschte kurz Stille in der Leitung.
„Gut, Doktor“, sagte der Anwalt schließlich. „Ich stelle Nachforschungen an, warte aber auf Sie, bevor ich etwas unternehme. In Ordnung?“
„Das wäre mir sehr lieb“, sagte Ohio höflich.
„Gut. Dann: Auf Wiedersehen.“
„Auf Wiedersehen.“ Ohio legte auf. Ein oder zwei Minuten hörte er einem unaufhörlichen Ticken am Fenster zu. Es war Sommeranfang und die Fliegen waren noch sehr agil. Ein dicker Brummer rammte mit stoischer Beharrlichkeit den Kopf gegen die Scheibe, um ins Freie zu gelangen. Schließlich stand Dr. Ohio mit einem Seufzer auf und öffnete einen Flügel des Fensters. Die Fliege flog stur weiter gegen den anderen. Er winkte sie mit einer nachlässigen Handbewegung hinaus. Dann ging er zu seinem Schreibtisch zurück, nahm das Foto und starrte nachdenklich darauf. So, ihr zwei, dachte er und kam sich vor wie ein freier Mann, der auf einen Schlag Onkel geworden war – oder noch schlimmer: Vater von zwei erwachsenen Söhnen. Damit hatte er sich endgültig in eine Angelegenheit begeben, die ihn eigentlich nichts anging. Aber was Ohio vor allem beunruhigte, war die Allianz zwischen dem Anwalt und dem Calvinisten. Daraus konnte nichts Gutes erwachsen.
7
Müde Gesichter,
der Rauch von Zigaretten
hängt blau in der Luft
In der „Träumenden Taube“ herrschte immer das gleiche dämmrige Halbdunkel. Das spärliche Licht einiger dumpfer Wandlampen und die zwei abgeblendeten Billardleuchten erinnerten an ein Aquarium. Wie an ihrem tierischen Pendant im Park schienen die Zeitläufte, ohne eine Spur zu hinterlassen, an der Kneipe vorbeizuziehen. Tageszeiten spielten in diesem Tempel der Zeitlosigkeit genauso wenig eine Rolle wie Jahre oder Epochen. Politische, wissenschaftliche oder gesellschaftliche Neuerungen zählten nicht in diesen Räumen.
Das soll nicht heißen, dass die meist älteren Herren, die sich dort zu jeder Tages- und Nachtstunde trafen, nicht über Politik oder Gesellschaft diskutierten. Zwei oder drei Gestalten fanden sich immer, die an der Theke saßen und beim stoischen Barmann halblaut Zustimmung zu ihren Ansichten über die neuesten Unverschämtheiten der Regierung einforderten. Aber egal, welche Maßnahmen beschlossen wurden und wie sich die Welt veränderte in ihrer politischen, demografischen oder soziologischen Zusammensetzung: Die „Träumende Taube“ blieb davon unberührt.
Beim Reden, Schach- oder
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