Dr. Ohio und der zweite Erbe
doch bitten, Herr Wieri. Und es heißt pfeifen, nicht schreien“, widersprach er der Form halber. Aber es war deutlich zu erkennen, dass der Angriff des Calvinisten an ihm abprallte wie die Kugel eines Damenrevolvers an einem Panzerwagen.
Wieri hob die Hand. „Ich bin nicht hier, um mit Ihnen zu streiten, Dr. Laudtner. So unterschiedlich unsere Motivationen auch sein mögen, wir haben doch dasselbe Ziel. Die Erben dürfen nicht gefunden werden. Liege ich da richtig?“
„Da liegen Sie richtig“, bestätigte Dr. Laudtner. Er lehnte sich zurück und zündete sich einen dünnen Zigarillo an. Wieri verzog angewidert das Gesicht, sagte aber nichts.
„Ich werde mich darum kümmern, Herr Wieri“, fuhr der Anwalt fort. „Ich setze mich mit Dr. Ohio in Verbindung und gehe mit ihm zusammen auf die Suche. Sollten wir tatsächlich einen der beiden finden, dann ...“ Dr. Laudtner zögerte. Er wusste auch noch nicht, was dann sein würde. Er wusste nur, dass Wieri in einem Punkt recht hatte: Die Erben durften auf keinen Fall erben. Denn dann war er geliefert.
Wieri hatte nur knapp daneben getroffen, als er vermutete, dass Laudtners Wohlstand hauptsächlich auf die Buchhandlungen Charlie Höpfners zurückzuführen war. Zwar hatte der Anwalt die angesehene und traditionsreiche Tübinger Kanzlei Laudtner & Söhne von seinem Vater übernommen. Er selbst war aber alles andere als ein gewissenhafter und engagierter Anwalt. Jura hatte er nur studiert, weil er viel zu weich war, um einem Familienskandal standhalten zu können oder zu wollen. So etwas wäre ihm nie in den Sinn gekommen. Es war klar, dass er dasselbe studieren würde wie sein Vater und vor ihm sein Großvater und auch dessen Vater.
So trieb er sich eben an mehreren Universitäten herum – aus Tübingen war er schnell geflüchtet, da stand er zu sehr unter der Beobachtung seiner Verwandten – und war hauptsächlich engagiert im Organisieren von Semesterfeten und Verbindungsfesten. Bei seinen Kommilitonen war er beliebt, von Laudtner veranstaltete Partys waren immer das Highlight des Semesters. Es ging ihm gut, bis eines Tages, als er die Regelstudienzeit schon weit überschritten hatte, sein von hohem Blutdruck geplagter Vater bei ihm auf der Bude erschien. Sein alter Herr explodierte fast und ging anschließend ohne ein weiteres Wort wieder. Aber seitdem wusste Laudtner, was die Stunde geschlagen hatte. Er beendete mehr schlecht als recht sein Studium und trat in die Kanzlei in der Bachgasse ein. Glücklicher- oder unglücklicherweise – Laudtner konnte sich da nie ganz entscheiden – starb sein Vater kurz darauf. Laudtners Desinteresse am Geschäft war es zu verdanken, dass die Kanzlei immer mehr herunterkam. Und deshalb war es ein reiner Glücksfall, dass schon sein Vater die Geschäfte Charlie Höpfners geführt hatte. Das warf genug Geld ab, um sowohl ihm als auch Höpfner einen angenehmen Lebensstil zu ermöglichen, ohne viel dafür tun zu müssen. Darunter litten allerdings die Buchhandlungen erheblich. Aber wen interessierte das schon?
Interessant für Laudtner war auf jeden Fall, dass von seinem Missmanagement und von den, gelinde gesagt, eigentümlichen oder unkonventionellen Zahlungen, die er an sich oder die Kanzlei ausgestellt hatte, nichts bekannt wurde. Und das war nur möglich, wenn die Stiftung gegründet und er Vorsitzender wurde. Wieri betrachtete er dabei nur als kleinen, vielleicht etwas fanatischen Fisch, den er sicher leicht im Griff haben würde. Und er schien recht zu behalten.
„Ich will auf jeden Fall, dass Sie sich darum kümmern“, sagte Wieri in einem sanfteren Ton. „Machen Sie sich Gedanken, Dr. Laudtner. Auch wenn es für Sie nur um Ihr persönliches Wohl geht. Es hängt viel davon ab, dass die Erben nicht gefunden werden.“
„Seien Sie unbesorgt, mein Freund“, sagte Dr. Laudtner. „Ich bekomme das in den Griff.“
Danach knipste er die Tischlampe aus und begleitete Wieri nach unten. Als sie an der Tür standen, sagte er: „Herr Wieri, es war gut, dass Sie zu mir gekommen sind. Aber in Zukunft sollten wir uns nicht mehr so offen treffen. Zumindest, solange die Sache nicht zu einem guten Abschluss gebracht ist.“ Er drückte dem Finnen einen handgeschriebenen Zettel in die Hand. „Da steht die Nummer eines privaten Handys drauf. Wenn es Probleme geben sollte, dann rufen Sie von einem öffentlichen Fernsprecher oder einem anderen Anschluss an. Das gilt natürlich nur, wenn es nicht um etwas Offizielles geht. Sie
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