Dr. Ohio und der zweite Erbe
er. „Ich bin nur ..., ich bin nur ...“ Er sah zur Tür, wo die beiden stehen geblieben waren. „Wer ruft mich?“, fragte er wie der Geist aus der Flasche.
„Ich bin es, Dr. Ohio“, sagte Ohio unfreiwillig märchenhaft. „Und meine Assistentin. Ich weiß nicht, ob Sie sich an uns erinnern?“
„Oh, Doktor. Wie könnte ich Sie vergessen. Und Ihre reizende Assistentin.“ Mit ein paar spinnengleichen Bewegungen schlenkerte er seine schlaksigen Glieder in ihre Richtung und blieb dicht vor ihnen stehen. Lächelnd verzieh Erika ihm seinen eingeübten Verkäufercharme.
„Wie geht es Ihnen?“, fragte sie.
Mit einer ruckartigen Bewegung wandte er ihr seinen Kopf zu und sah sie mit großen Augen an. Dr. Ohio musste unwillkürlich wieder an den Vogeldämon denken.
„Ach“, sagte Murnach weinerlich. „Ach. Sie sehen ja. Hier ist alles verlassen. Ich habe den Laden geöffnet, natürlich. Das Leben muss ja weitergehen.“ Er kicherte verlegen, als müsse er sich dafür entschuldigen, dass das Leben weiterging. „Aber es kommen keine Kunden. Niemand kommt, um Brillen zu kaufen.“ Murnach sah beide gierig an, so als würden sie ihm jetzt gleich die Lösung seines Dilemmas verraten.
„Das ist ... ver...ständlich“, stotterte Dr. Ohio.
„Das geht vorbei. Die kommen schon wieder“, versuchte Erika ihn zu trösten.
Murnach starrte noch einen Moment, wartete, ob noch etwas kommen würde, dann winkte er mit seinen dünnen Armen schlenkernd ab.
„Kommen Sie doch nach hinten“, sagte er. „Ich habe Kaffee.“
Sie gingen an der Tür, aus der Murnach gekommen war, vorbei in einen schmalen Raum, dessen kleines, schmutziges Fenster milchiges Licht hereinließ. An der Wand zog sich eine kleine Küchenzeile entlang, auf der Ablage stand eine Kaffeemaschine mit aufgebrühtem Kaffee. An einem kleinen Tisch in der Mitte standen zwei Stühle. Sie blieben stehen und Murnach schenkte drei Tassen Kaffee ein. Erika stellte ihre nach einem Schluck vorsichtig auf den Tisch. Er schmeckte etwas staubig.
„Hier haben wir immer gesessen“, sagte Murnach. Er lehnte an der Küchentheke und schlenkerte wehmütig seinen Arm zum Tisch. „Natürlich nur, wenn keine Kundschaft da war.“
„Schmidt geht es ganz gut“, sagte Erika. Dr. Ohio bemerkte es mit einer gewissen Überraschung, aber sie schien Mitleid mit dem Vogelmann zu empfinden.
„Ja“, sagte er. „Aber sagen Sie, Herr Murnach: Haben Sie sich denn mit Schmidt unterhalten?“
Murnach lächelte.
„Ach, ja. Das ging schon. Unterhalten ist vielleicht etwas zu viel gesagt. Aber wir haben uns schon verstanden.“ Er hielt inne. „Habe ich jedenfalls gedacht, bevor diese schreckliche Geschichte mit den Unfällen passiert ist.“
„Sie haben Schmidt vor ungefähr zwei Jahren aufgenommen, nicht wahr?“
„Ja.“
„Und dann hat er bei Ihnen im Laden ausgeholfen?“
„Ja. Das ging ganz gut, manchmal auch weniger. Aber kleinere Arbeiten konnte er schon ausführen. Und dann haben wir es uns eben gemütlich gemacht und Kaffee getrunken.“
Dr. Ohio konnte sich lebhaft vorstellen, wie gemütlich es bei den beiden gewesen sein musste, hier hinten in ihrer staubigen Küche, wo sie beide an ihrer Tasse staubigen Kaffees genippt hatten. Die Kommissarin hatte nicht unrecht: Murnach war wohl sehr einsam. Dr. Ohio hatte noch eine Menge Fragen, aber die konnte er auch später stellen. Jetzt interessierte ihn zuerst einmal die Sache mit den Schecks.
„Die Kommissarin sagte, Sie hätten Schecks, eine Art Unterhaltszahlungen, für Schmidt erhalten?“, fragte er so beiläufig wie möglich.
Murnach hob ruckartig den Kopf.
„Unterhaltszahlungen?“ Nervös stellte er seine Tasse auf den Küchentisch und verschüttete dabei etwas von seinem Kaffee. „Unterhaltszahlungen. Ja, das ist schon möglich“, sagte er leise.
„Was heißt ‚schon möglich’?“, fragte Dr. Ohio und runzelte die Stirn. „Herr Murnach, diese Information ist sehr wichtig für mich. Ich weiß nicht, ob man Ihnen gesagt hat, dass ich für die Erbschaftsangelegenheiten von Herrn Schmidt und seinem Bruder zuständig bin. Dazu ist es nötig, dass ich den Bruder finde. Denn Herr Schmidt allein, das werden Sie einsehen, ist nicht in der Lage, das Erbe seines Onkels anzutreten.“
„Ich weiß, ich weiß“, beeilte sich Murnau zu sagen. Er schlenkerte aufgeregt durch die Küche, stieß gegen einen der Stühle und setzte sich schließlich. „Mein Anwalt hat mir alles erklärt. Ja, es stimmt schon. Ich
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