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Dr. Ohio und der zweite Erbe

Dr. Ohio und der zweite Erbe

Titel: Dr. Ohio und der zweite Erbe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Stichler
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verlegen. „Ich halte es für meine Pflicht – Sie wissen es ja selbst –, Sie darauf aufmerksam zu machen, dass Ihr Bruder seinen Erbteil natürlich nicht antreten kann ...“
    Boris fuhr auf und funkelte Dr. Ohio mit seinen schwarzen Augen an.
    „Nun ja, er ist nicht ... er ist auf Hilfe angewiesen. Er hat einen bestellten Vormund und hat in letzter Zeit bei einem Optiker namens Murnach gelebt. Zurzeit ist er bei mir im Sanatorium untergebracht.“ Und Ohio erzählte in groben Zügen, was passiert war.
    Boris unterbrach ihn: „Ja, Doktor, dass mein Bruder nicht erben kann, ist mir klar. Kommen Sie zum Punkt. Um was genau geht es denn eigentlich?“
    Dr. Ohio zuckte mit den Schultern.
    „Tja. Ich wollte klarstellen, dass Ihr Bruder, wenn Sie das Erbe annehmen würden, ebenfalls davon profitieren würde. Das ist alles. Ansonsten fällt alles der Stiftung zu, die, wie ich Ihnen erzählt habe, von Dr. Laudtner und Värie Wieri, dem früheren Assistenten Ihres Onkels, geführt würde. Das heißt, die beiden hätten vollen Zugriff auf alles.“
    „Ich kann mir nicht vorstellen, dass Geld für meinen Bruder eine große Rolle spielt“, sagte Boris ein wenig zynisch. Aber er war ins Grübeln gekommen.
    „Das glaube ich auch nicht. Trotzdem erleichtert es manchmal doch eine Menge. Ich weiß, dass Sie von Ihrem Geld ab und zu etwas an Murnach geschickt haben ... Aber um Ihren Bruder auf Dauer gut unterzubringen, wird das nicht reichen. Und ich glaube, dass ihm in einer guten Einrichtung durchaus geholfen werden kann. Sicher besser als bei Murnach, auch wenn er die besten Absichten gehabt haben mag.“
    „Ich weiß nicht ...“, sagte Boris gedankenverloren. Er hatte auf einmal eine sehr weiche Stimme, wie die eines Jungen, der traurig ist, dass die Katze oder der Hund gestorben ist. „Wegen all dieser Geschichten bin ich doch eigentlich weggegangen. Ich wollte nichts mehr damit zu tun haben und einfach etwas Neues anfangen. Und jetzt ...“
    „Ich kann das verstehen“, sagte Dr. Ohio mitfühlend. „Ich möchte auch, dass Sie wissen, dass ich es Ihnen als Letzter vorwerfen werde, wenn Sie Ihr Leben so weiterführen, wie Sie es für richtig halten. Das habe ich auch immer versucht.“ Hatte er das? „Es gibt für Sie meiner Meinung nach nicht mehr moralische Verpflichtung als vorher“, fuhr er fort. „Ich werde nichts bewerten. Ich will nur, dass Sie alle Aspekte kennen. Und von Laudtner und Wieri haben Sie und Ihr Bruder sicher nichts zu erwarten.“
    „Sie mögen die beiden nicht?“, sagte Boris fragend.
    „Erika kann die beiden nicht ausstehen. Ich halte sie für ... hm, schwer zu sagen. Ich bin überzeugt, dass sie das Vermögen Ihres Onkels nicht in seinem Sinne einsetzen würden.“
    „Das würde ich vielleicht auch nicht tun“, sagte Boris heftig. Was immer in dieser Familie vorgefallen war, es saß tief in ihm.
    Es klingelte. Boris fuhr auf.
    „Ach Gott, die Führung. Ich muss ... wir müssen los, Doktor. Kommen Sie.“ Er nahm Dr. Ohio am Arm und zog ihn mit sich zu einer Gruppe von Touristen, bei der auch Erika stand.
    „Denken Sie drüber nach“, sagte Dr. Ohio noch zu ihm. Boris nickte kurz und begann mit der Führung.
    Mit einem großen Aufzug fuhr die gesamte Gruppe langsam nach unten. Die Kabine war auf einer Seite mit einer Panoramascheibe ausgestattet, die den Blick auf das Gestein freiließ. Erika und Dr. Ohio sahen sich an. Jetzt wussten sie, was Boris mit „ein bisschen kitschig“ gemeint hatte: In den Hohlräumen vor dem kahlen Fels waren in Abständen zerzauste Puppen vor einer naiv gemalten Landschaft oder in grob gestalteten, verstaubten Bauernzimmern zu sehen. Die verschiedenen Szenen sollten wichtige Abschnitte im Leben des Firmengründers Eugène Mercier darstellen. Erika grunzte und stieß Dr. Ohio den Ellbogen in die Rippen, als der Puppen-Eugène in einem Fesselballon über Paris an ihrer Scheibe vorbeischwebte.
    „Entschuldigung“, flüsterte sie, hielt sich die Hand vor die Augen und unterdrückte ein Lachen.
    Es kam noch besser. Unten angekommen, bat Boris alle Teilnehmer der Führung, in einen kleinen Zug zu steigen, der durch die unterirdischen Gänge des Mercier ’schen Kellers tuckerte, während er per Mikrofon vom Champagner im Allgemeinen und dem des Hauses Mercier im Besonderen erzählte. All das wirkte tatsächlich ziemlich lächerlich, verblasste allerdings vor den lang gezogenen, gitterartig angelegten Gängen der Keller, die Kilometer um Kilometer in den

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