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Dr. Sex

Dr. Sex

Titel: Dr. Sex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. C. Boyle
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»Ich meine, gut, daß das entschieden ist. Er macht einen guten Eindruck. Ich glaube, daß er der Richtige ist. Und du wirst dann nicht mehr so unter Druck sein, nicht?«
»Ich weiß nicht«, sagte ich. »Wahrscheinlich.«
Sie schwieg wieder und hielt ihren Blick auf mich gerichtet. Ich hörte entfernte Musik aus einem Grammophon, eine einzelne Geige, die sich über die Stille der Stunde erhob und dann wieder verklang, und ich weiß noch, daß ich mich in Gedanken an einen anderen Ort versetzt fühlte, in eine Wohnung im nächsten Block, wo man im gedämpften, inzestuösen Gemurmel der Stimmen zusammensaß und den letzten Cocktail des Abends trank. »Ich hab auch Neuigkeiten«, sagte sie.
Mein Mund versuchte, die Worte zu formen, aber meine Gedanken waren bereits weit vorausgeeilt. »Stimmt, du wolltest ja zum –«
»Zum Arzt«, sagte sie leise und lächelte wie alle himmlischen Engel zusammen.
4
    Als ich am nächsten Morgen ins Büro trat, saß Prok bereits am Schreibtisch und zog die Augenbrauen hoch: zehn Minuten zu spät. Jede verlorene Sekunde war in Proks Augen eine Sekunde Verzögerung für das Projekt, und wenn er uns genötigt hatte, bis ein Uhr morgens wach zu bleiben, war das noch lange kein Grund, unsere Pflichten zu vernachlässigen. Mrs. Matthews saß, pünktlich wie eine Bankkassiererin, im Vorzimmer und schrieb mit durchgedrücktem Rücken und gerecktem Kinn auf der Maschine. Auch Corcoran war an seinem Schreibtisch, und Rutledge, der am Nachmittag nach Princeton zurückfahren würde, um den Umzug vorzubereiten, saß in einer Ecke und las eines der Bücher, die Prok ihm gegeben hatte, damit er über die Fachliteratur auf dem laufenden war. Zehn nach acht, und im Büro herrschte bereits die übliche rege Geschäftigkeit. Nur ich war nicht rege. Ich war nicht in bester Verfassung – verkatert, erschöpft und außerdem zu spät –, doch ich brannte darauf, die Neuigkeit loszuwerden.
    Iris und ich waren aufgeblieben und hatten gefeiert. Ich hatte eine Flasche guten Bourbon hervorgeholt, die ich für eine besondere Gelegenheit aufgespart hatte, und stieß mit Iris an, auch wenn sie sich, bereits um das Wohlergehen des Babys besorgt, mit Ginger Ale begnügte. Und dann gingen wir ins Bett, und ich verströmte meine Erregung und Freude in sie, schloß die Augen vor den Schatten an der Wand und schob das Bild von Corcoran und der Brünetten beiseite, in meinen Armen nur meine Frau und sonst niemand. Meine fruchtbare Frau. Meine schwangere Frau. Zwei Jahre hatten wir uns bemüht, und ich muß zugeben, ich hatte schon gedacht, daß es nie passieren würde, daß wir irgendwie verflucht waren, und da mir dieses Kind verweigert wurde, wollte ich es nur um so mehr, ganz gleich, wieviel Geld oder Mühe oder sonstwas wir dafür auf uns nehmen mußten. Auch Prok wollte es. Iris’ Mutter wollte es, Tommy wollte es und meine eigene Mutter und praktisch jeder, den wir kannten oder kennenlernten, vom Metzger bis zum Gemüsehändler – alle wollten es.
    Ware es nicht langsam an der Zeit,eine Familie zu gründen? Das war die Frage, die wir ständig hörten, und jede Frau in Amerika schien schwanger zu sein oder an der Seite eines ins Zivilleben entlassenen Soldaten einen Kinderwagen zu schieben.
    »Entschuldige die Verspätung, Prok«, sagte ich und hängte Hut und Mantel an den Garderobenständer hinter meinem Schreibtisch. Der Mantel war naß – über Nacht war es zehn Grad kälter geworden, und immer wieder gab es Regenschauer –, und die Absätze meiner Schuhe hatten schimmernde Halbkreise auf dem Linoleumboden hinterlassen. »Ich mußte noch in Iris’ Schule Bescheid sagen, daß sie heute nicht kommt.«
    Prok sah scharf auf. Wir arbeiteten inzwischen am Text für den Band über das sexuelle Verhalten des Mannes, und er trieb sich an und arbeitete täglich sechzehn, siebzehn Stunden, brütete über Zahlen und kam über Korrelationen zu Interpretationen. Unter diesem Druck war er im Lauf der Zeit immer strenger geworden. Er war selbst bis eins aufgewesen, und obgleich der Abschluß der RutledgeSache und der Erfolg der gestrigen Demonstration ihn sicher beschwingte, war er an jenem Morgen ein bißchen gereizt. »Du hältst das Projekt auf, Milk«, sagte er nur und bedachte mich mit einem verärgerten Blick.
    Normalerweise wäre ich entsetzt gewesen – niemand sollte an meiner Hingabe und Loyalität zweifeln, am wenigsten Prok, dem ich alles verdankte, doch er hatte natürlich recht: Ich kam zu spät, ich handelte

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