Dr. Sex
und Vertretern.«) Weiter kompliziert wurde die Sache dadurch, daß wir noch immer unterbesetzt waren, denn Rutledge wollte erst noch seine Dissertation schreiben und würde nicht vor den Sommerferien zu uns stoßen, und so jagten wir von Stadt zu Stadt, während Iris zunahm, ihre Brüste empfindlich wurden und ihre Füße sich in Blei verwandelten. Auf diesen Reisen hielt Prok beinahe täglich Vorträge, und wir drei blieben bis in die frühen Morgenstunden auf und zeichneten Geschichten auf. Wir fuhren nach Chicago, Philadelphia und Washington und machten in zahllosen am Weg liegenden Städten halt. Im Dezember wohnten wir beinahe drei Wochen im Astor-Hotel in New York und befragten männliche und weibliche Prostituierte.
Ich schrieb Iris regelmäßig, und seien es auch nur ein paar Zeilen, und ich legte Wert darauf, jeden zweiten Tag mit ihr zu telefonieren, ganz gleich, was es kostete. Ich schuldete ihr diese Anrufe, aber bald stellte ich fest, daß ich sie ebensosehr brauchte wie Iris. Ob ich duschte, frühstückte, in den Zug stieg oder mich zu Prok und Corcoran in den Buick setzte – ich hatte den Klang ihrer Stimme immer im Kopf, ihr leises, zögerndes »Hallo« erklang im rhythmischen Rattern der Eisenbahnräder ebenso wie im Rumpeln der Autoreifen. Am Telefon war sie zurückhaltend, schüchtern, und ich glaube, wir kommunizierten nicht sehr effektiv. Aber entscheidend war, daß wir miteinander sprachen. Ich sagte ihr, daß ich sie liebte. Daß ich es kaum erwarten könne, wieder zu Hause zu sein, bei ihr – und dem Baby. Trat und boxte es schon? Nein? Noch zu früh? Na, das würde es dann aber noch tun, oder? Irgendwann? Ja, versicherte sie mir, das Baby würde boxen und treten. Weihnachten, sagte ich ihr, Weihnachten würden wir Zusammensein.
Ach ja, ein Wort zum Astor-Hotel. Es war damals ein bekannter Treffpunkt für Homosexuelle. An der langen, ovalen schwarzen Bartheke im Erdgeschoß drängten sich jede Nacht bis weit in die Morgenstunden alle möglichen Männer, so daß es ein idealer Ort war, um H-Geschichten zu sammeln, und das war schließlich der Hauptzweck dieser besonderen Reise. (Allerdings befragten wir, wie gesagt, auch weibliche Prostituierte und eine Reihe von jungen Akademikerinnen und Karrierefrauen, die uns durch Vivian Aubrey vermittelt wurden, einer sexuell hochaktiven Absolventin der Columbia University, deren Geschichte Corcoran bei unserem letzten Ausflug nach New York protokolliert hatte. Mehr von ihr später.) Das wichtigste war: Im Astor stellte niemand Fragen. Im Jahr zuvor waren wir im Lincoln-Hotel abgestiegen, und dort hatte man uns gebeten zu gehen (das heißt, man hatte uns rausgeworfen). Prok konnte die Geschichte inzwischen mit Gleichmut und wie eine Anekdote erzählen, doch damals war er sehr wütend gewesen.
Keinem von uns war aufgefallen, daß irgend etwas nicht in Ordnung war, doch aus irgendeinem Grund – Prüderie, antiquierte Moralvorstellungen – hatte unsere Tätigkeit Aufsehen erregt. Wir führten seit einigen Tagen Interviews im Lincoln durch, und allerlei aufgedonnerte Huren, minderjährige Bürschchen und feminin wirkende Jugendliche erschienen in der Hotelhalle, wo Prok, Corcoran oder ich sie begrüßten, bevor wir mit ihnen hinauf auf unser jeweiliges Zimmer gingen. Der Geschäftsführer rief bei Prok an und verlangte, mit ihm zu sprechen. Prok befand sich gerade mitten in einem Interview und vertröstete den Mann auf die nächste Unterbrechung. Dann beorderte er Corcoran und mich als Verstärkung zu sich und ging hinunter.
Der Geschäftsführer war ein adrett wirkender Mann mit zurückgekämmtem Haar, silbergrauen Koteletten und einem ganz leichten italienischen Akzent – ein echter Lackaffe, wie wir damals sagten, eingebildet und aufgeblasen. »Das geht nicht«, sagte er.
Prok verschränkte die Arme und faßte den Mann ins Auge. Er wußte schon, was jetzt kam. »Was geht nicht?«
»All dieses Sexzeug«, stieß der Mann hervor. »Tunten und Stricher. Huren. Ich kann nicht zulassen, daß Sie diese Leute in meinem Hotel ausziehen.«
»Aber ich habe Ihnen doch erklärt, um was es geht. Wir führen hier eine wissenschaftliche Erhebung durch. Sie wissen ganz genau, daß wir niemanden ausziehen.«
»Nein? Vielleicht nicht ihre Kleider, aber Sie ziehen ihre Gedanken aus, und das geht nicht, nicht in meinem Hotel.«
Aber diesmal, im Astor, gab es solche Probleme nicht. Die Angestellten sahen einfach weg, und alles ging glatt und professionell über die
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