Dr. Sex
Tasche und zu einem Bruchteil des Zinssatzes, den du bei einer Bank in der Stadt zahlen müßtest. Wie findest du das?«
Mir fehlten die Worte. Ich war ganz benommen. Gerührt. Zutiefst gerührt. Daß er noch immer etwas für mich tat, für mich, John Milk, einen Niemand, seinen ehemaligen Studenten, den Geringsten unter seinen Angestellten, und daß er bereit war, sein eigenes Geld zu opfern – das war einfach zuviel. Mein Vater war tot, meine Mutter war fern. Nur Prok, Prok war für mich da und sah meine Bedürfnisse – unsere Bedürfnisse – voraus, als wäre ich sein eigen Fleisch und Blut. Ich war so überwältigt, daß ich am liebsten vor ihm auf die Knie gefallen wäre. »Das ist... also ... das ist großartig«, sagte ich, und meine Gefühle stauten sich in meiner Kehle, »aber du mußt das nicht... Was ist mit den Forschungsstipendien, was ist mit dem NRC? Wie werden wir, ich meine, das Projekt...?«
Er ging zur Anrichte, wo bereits das emaillierte Tablett mit den kleinen Gläsern und bunten Flaschen stand. »Die Stipendien für das kommende Jahr sind bewilligt, seit einiger Zeit schon. Du brauchst dir also keine Sorgen zu machen.« (Später erfuhr ich, daß der National Research Council auf Betreiben der Rockefeller Foundation die Bedeutung unserer Arbeit durch die Bewilligung von 40 000 Dollar für jedes der drei folgenden Jahre unterstrichen und damit die bisherige Summe beinahe verdoppelt hatte.) Ich lauschte der Musik der Gläser, die er auf dem Tablett anordnete. »Und es ist noch mehr unterwegs, da kannst du sicher sein. Also komm, komm her und bedanke dich, wie es sich gehört...«
Ich umarmte ihn, und wir küßten uns, aber nur ganz kurz. Unsere Lippen berührten sich, und dann löste ich mich aus der Umarmung. Ich wollte zu Iris, ich wollte es ihr sagen, ich wollte jeden Immobilienmakler im County anrufen. »Kann ich es Iris erzählen?« fragte ich. »Kann ich ihr die gute Nachricht sagen?«
»Nur zu«, sagte er, und sein Gesicht verriet nichts. Ich war schon fast bei der Tür, als er mich zurückrief. »Warte, warte, das Beste hab ich dir ja noch gar nicht erzählt.« Er hatte sich gefangen und lächelte wieder. »Ich habe ein hübsches kleines Haus gefunden, keine sechs Blocks von hier.«
»Ich muß es Iris sagen«, rief ich, so aufgeregt, daß ich nach Luft schnappte. Ich war an der Tür und vergaß ganz, sie für ihn und seine Liköre aufzuhalten. Ich wollte bloß zu meiner Frau, bevor ich platzte. »Aber danke«, rief ich über die Schulter zurück, »tausend Dank«, und dann schwang die Tür auf, die Stimmen der anderen hüllten mich ein, und ich hörte ihn rufen: »Und es hat einen großen Garten für den Jungen!«
Früh am nächsten Morgen klopfte es an der Tür. Ich saß am Küchentisch, las die Sportseite mit den Vorberichten zu den anstehenden Footballspielen und löffelte stark gezuckerte Cornflakes mit Milch in mich hinein. Die Uhr über dem Herd zeigte Viertel nach sieben. Iris schlief noch. Ich hatte keine Ahnung, wer das sein mochte – es war der zweite Weihnachtstag, draußen war alles verschneit, nichts regte sich. Ich stemmte mich hoch und ging zur Tür. Auf der Schwelle stand Prok, aus seinen Nasenlöchern kam Dampf, und er trug den Wintermantel mit dem Gürtel, Galoschen, Strickhandschuhe und den alten, formlosen Südwester, den er bei rauhem Wetter bevorzugte. »Freut mich, daß du schon auf bist, Milk«, sagte er, »aber es ist kalt, nicht? Als ich aus dem Haus ging, zeigte das Thermometer minus fünfzehn Grad.« Hinter ihm, am Bordstein, stieß der Buick unregelmäßige Rauchwolken aus.
Ich war noch in Schlafanzug und Morgenmantel, und an den Füßen trug ich filzgefütterte neue Hausschuhe – ein Weihnachtsgeschenk von Iris. Ich gebe gern zu, daß ich ein bißchen verwirrt war, noch umfangen vom reichlichen Geist der Weihnacht. Ich versuchte, in seinem Gesicht zu lesen. Hatte ich etwas vergessen? Gingen wir wieder auf die Reise? War es das? »Ja«, sagte ich, »tja, stimmt, es ist sehr kalt, also komm doch rein, denn ich ... also ...«
»Du mußt dich anziehen«, sagte er und stampfte den Schnee von den Galoschen, bevor er eintrat. »Wir haben einen Termin um acht. Und Iris, wo ist Iris?«
Ich glaube, Prok war nur ein- oder zweimal in unserer Wohnung gewesen, und dann auch nur kurz. Er sah sich aufmerksam und taxierend um, als wäre er in einem unserer schmucklosen Hotelzimmer. Und dann ging er mit seinen langen, raschen Schritten durch unser kleines
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