Dr. Sex
an, den Kopf leicht schief gelegt. Ich sah das Weiße in seinen Augen. »Wer hat dir denn das erzählt?«
»Ich ... äh, Laura Feeney. Laura Feeney hat es mir gestern morgen erzählt. Du weißt schon, die Frau, mit der ich im Eheseminar war.«
»Deine damalige Verlobte.«
»Ah ... ja.«
Die Bohlen der Brücke rumpelten unter den Rädern, und ich sah den Reiher die Flügel ausbreiten. Proks Blick blieb auf die Straße gerichtet. Er schwieg kurz und murmelte dann: »Miss Feeney hatte wohl eine Audienz beim Rektor? Ober beim Kuratorium?«
»Du nimmst das auf die leichte Schulter, Prok, und das ist falsch. Ich mache mir nur ... Ich mache mir nur Sorgen, das ist alles, und es gibt tatsächlich Gerüchte, das kannst du nicht leugnen ...«
Er seufzte. Warf mir einen mitleidigen Blick zu und konzentrierte sich dann wieder auf die Straße. »Wenn du es genau wissen willst«, sagte er, »ich fühle mich wie Galileo. Sie stellen mir nach, sie wollen mich mundtot machen, sie wollen mir das Grundrecht auf wissenschaftliche Forschung verweigern, und das alles nur, weil irgendein Pfaffe oder eine eingetrocknete alte Jungfer wie Dean Hoenig oder ein abgehalfterter Bürokrat wie Thurman Rice Angst vor den Tatsachen hat. Sie können der Wirklichkeit nicht ins Auge sehen, darauf läuft es hinaus.«
Mir sank das Herz. Dann stimmte es also. Ich starrte aus dem Fenster auf die strenge Geometrie der Maisfelder. Zu meinen Füßen stöhnte der Motor, die Welt zog vorbei.
»Sie wollen mir ein Ultimatum stellen: Entweder ich setze das Eheseminar ab, oder ich gebe das Forschungsprojekt auf.«
»Aber du kannst doch nicht ... Das wäre das Eingeständnis, daß Sex tatsächlich etwas Schmutziges ist und daß sie die ganze Zeit recht hatten ...«
Wieder ein Seufzer. Der verschleierte Blick. Die Hände lagen wie Klauen auf dem Lenkrad. »Verstehst du, das Problem ist: das Seminar und dann auch noch die Forschung, ganz zu schweigen von der Beratung in sexuellen Dingen, die ja oft eingebunden war in die Informationen, die wir verbreiten ...«
Er schaltete herunter. Der Wagen rumpelte durch ein Schlagloch, hob leicht ab und setzte schaukelnd wieder auf. Prok legte die Hand auf mein Knie. »Sie wollen das Forschungsprojekt abwürgen. Die Vorstellung, daß wir leicht beeinflußbare junge Menschen hinter verschlossenen Türen befragen, ist ihnen unerträglich. Schließlich weiß man ja nie, was da alles passieren kann.« Er drückte mein Knie. »Stimmt’s, John?«
Unser Zeitplan war eng, doch an diesem Tag hatten wir Glück, denn in der DePauw University erschienen alle pünktlich, lieferten ihre Informationen ab und machten sich wieder an die Arbeit, so daß wir uns an unsere machen konnten. Studentenfutter und Wasser im Wagen. Prok überholte Pickup-Trucks, überladene Lastwagen und hin und wieder eine Kuh, leuchtendgrüne Felder wechselten sich ab mit dunklen Wäldern und schattigen Senken, und dann waren wir da, wohlbehalten in Lafayette angekommen, eine Dreiviertelstunde bevor die Vorlesung beginnen sollte.
An das – Hotel kann ich mich kaum erinnern, und das ist sonderbar, denn diese Fahrt stellte einen markanten Einschnitt dar, aber die Hunderte von Kleinstädten und Hotels und Motels haben in mir anscheinend ein exemplarisches Bild entstehen lassen. Höchstwahrscheinlich war es ein Backsteinhaus aus dem vergangenen Jahrhundert, das sandgestrahlt und gestrichen werden mußte, und vermutlich stand es an der Hauptstraße, nicht weit vom Gerichtsgebäude. Schattenspendende Bäume, auf dem Bürgersteig vor dem Haus ein schlafender Hund, schräg geparkte Wagen. Das Haus hatte bestimmt drei Stockwerke und einen separaten Eingang für Restaurant und Bar. Um Geld zu sparen – Prok war ein Meister der Sparsamkeit –, teilten wir uns ein Zimmer. Das behielten wir auch in späteren Jahren bei, als zunächst Corcoran und dann Rutledge zu unserem Team stießen.
Die Vorlesung. Brauchte Prok noch irgend etwas? Nein. Er stand mit nacktem Oberkörper im Badezimmer und rasierte sich. Dann zog er ein frisches Hemd an, band seine Fliege, schlüpfte in das Jackett und ging zügig in Richtung Uni, so daß sein Gastgeber, Professor McBride vom Institut für Soziologie, Mühe hatte, Schritt zu halten. Ich folgte ihnen. Als wir eintrafen, war der Hörsaal bereits gefüllt (selbst damals, in der Frühzeit unseres Projekts, eilte uns ein gewisser Ruf voraus, und wenn sämtliche Soziologieseminare zusammen sechzig Studenten auf die Beine brachten, dann waren die
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