Dr. Siri sieht Gespenster - Cotterill, C: Dr. Siri sieht Gespenster - Thirty-Three Teeth
Lehmziegel, die er einst verankert hatte, verrutschten und verschoben sich.
Bald hielt den schiefen Kuppelbau nichts mehr an seinem Platz, und die Stupa klatschte auf die Erde. Sie zerfiel unelegant in ihre Einzelteile, und nichts deutete mehr darauf hin, dass sie den Elementen jahrhundertelang Trotz geboten hatte. Es geschah fast lautlos, ohne Getöse; weder Posaunen noch Himmelschöre, nichts Erhabenes erinnerte daran, dass hier ein Stück Geschichte zu Ende ging.
Der Beamte und seine Männer eilten zum Sockel der Stupa, der hohl und quadratisch aus der Erde ragte wie ein alter Wunschbrunnen. Doch ihre Wünsche sollten sich nicht erfüllen. Kaum hatten sie begonnen, die widerspenstigen Ziegel aus dem Sockel zu schaufeln, wussten sie, dass die Stupa leer war. Die anfängliche Begeisterung der Männer verwandelte sich nach und nach in Überdruss, und nach
zwanzig Minuten war ihnen die Lust am Graben gründlich vergangen.
Dem Beamten blieb weiter nichts zu tun, als seine leidige Pflicht zu erfüllen. Er notierte den Zeitpunkt des Einsturzes für seinen Bericht und wickelte einen kleinen Ziegel in Zeitungspapier, um ihn im Bus mit nach Hause zu nehmen. Er fotografierte den Ziegelhaufen und den toten Elefanten. Das bedeutete noch mehr überflüssigen Papierkram. Siri saß im Schatten eines Frangipanibaums und versuchte noch immer, seine Zähne zu zählen. Jahrzehnte scharf gewürzten Essens hatten seine Zungenspitze taub werden lassen, die harte Arbeit im Dschungel seine Fingerspitzen.
»Neunhundertneunundneunzigtausendneunhundertneunundneunzig«, sagte er.
»Wie war das, Genosse?«
»Nun ja, da wir uns im Lane Xang befinden, dem Königreich einer Million Elefanten...«
Der Beamte kicherte höflich.
»Ach so. Verstehe. Sehr witzig.« Er verstaute seine Unterlagen zusammen mit der Kamera und dem Ziegel in seinem Plastikaktenkoffer. »Es tut mir leid, aber ich muss jetzt gehen. Sonst verpasse ich meinen Bus.«
Der Bezirksvertreter hatte Siri eine Busfahrkarte nach Vientiane spendieren wollen, aber das hatte er natürlich abgelehnt. Keine zehn Pferde hätten ihn dazu bewegen können, sich sämtliche Knochen durchschütteln zu lassen. Er würde entweder das Flugzeug nehmen oder auf den Helikopter warten. Es spielte keine Rolle, dass der Hubschrauber nicht zur Verfügung stand. Es spielte keine Rolle, dass er sich auf einer streng geheimen Mission befand. Es spielte keine Rolle, dass er zwei Tage länger würde warten müssen. Er würde fliegen, und damit basta.
Die Wachleute hatten sich mittlerweile davongemacht, und er war allein auf dem Tempelgelände. Es war herrlich friedlich. Der Hauptsala war ein schlichtes weißes rechteckiges Gebäude, doch die schwarzen Holztüren zierten wunderschöne Schnitzereien. Die dargestellten Figuren hatten etwas Mythisches: Engel, Nagas, die Kinder greiser Könige. Er trat näher, um sich ihre Gesichter anzusehen. Sie trugen alle dieselbe sorgenschwere Miene. Sie schauten Siri direkt in die Augen, und ihre furchtsamen Blicke schienen zu sagen: »Sieh dich vor.«
Er schlug die Warnung in den Wind und machte sich auf die Suche nach einer Unterkunft. Die Mönche waren vorübergehend ausgezogen, und hinter der Gebetshalle entdeckte er eine leere Schlafterrasse samt einer Pyramide aus zusammengerollten Matratzen. Da er heute ohnehin nicht mehr zurückfliegen würde, war dies als Nachtquartier nachgerade ideal. Er schleppte eine Matratze in den Gebetsraum und legte sich unter dem wachsamen goldenen Auge Buddhas zur wohlverdienten Ruhe.
Er fand Fräulein Latsamy in der Stadtverwaltung, wo sie für drei Dollar im Monat Dienst tat. Sie stempelte das Amtssiegel auf Dokumente, die sich auf ihrem Schreibtisch zu rechteckigen Türmen stapelten. Sie blickte auf, als er hereinkam.
»Ah. Hallo, Onkel.«
»Hallo, Fräulein Latsamy. Ich dachte, Sie können mir vielleicht sagen, wo ich den Genossen Houey finde.«
Sie schaute auf die Uhr an der Wand.
»Da werden Sie wenig Glück haben. Er trifft Vorbereitungen für... für das...« – sie suchte nach dem richtigen Wort – »... das Dings.«
»Das Dings?«
Fräulein Latsamy sah Hilfe suchend zu der Frau am Schreibtisch gegenüber, doch die zog nur eine aufgemalte Augenbraue hoch und schwieg.
»Es gibt, glaube ich, gar keinen richtigen Namen dafür, Onkel. Jedenfalls hat Genosse Houey alle Schamanen zu einer Sitzung ins Rathaus bestellt. Wer sich weigert, wird verhaftet. Sie müssen ihre Utensilien mitbringen, wegen
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