Dr. Siri sieht Gespenster - Cotterill, C: Dr. Siri sieht Gespenster - Thirty-Three Teeth
geheftete Broschüre vom Tisch und hielt sie hoch.
»Das ist das offizielle Handbuch zur Geisterbeschwörung, herausgegeben vom Kulturministerium in Vientiane.«
Kein Witz der Welt hätte größeres Gelächter geerntet. Selbst Tik konnte sich vor Lachen kaum auf den Beinen halten und ließ sich wieder neben Siri auf dem Boden nieder. Siri musste an seinen Besuch im Ministerium am Tag nach dem Selbstmord denken. Er stellte sich vor, wie die Beamten in ihren schmucklosen Büros über den Texten brüteten und sämtliche religiösen und monarchistischen Stellen zu tilgen versuchten. Es war ein Wunder, dass für ein Handbuch überhaupt genug übrig geblieben war. Viel interessanter jedoch fand Siri, dass sie den Brauch nicht gleich ganz verboten hatten. Dafür waren einfach zu viele der verbliebenen drei Millionen Laoten auf den Schwingen der Geister durchs Leben gesegelt.
Die Pfeifer brachten die Menge wieder zur Raison, doch bevor Houey weiterreden konnte, fragte die Frau mit der Betonfrisur: »Wenn in dem Heft doch alles Nötige steht, wofür haben Sie uns dann eigentlich kommen lassen?«
»Genau«, echote das Publikum.
Houey schüttelte lächelnd den Kopf. »Das ist der eigentliche Kern des Sozialismus, Schwester. Wir greifen uns gegenseitig unter die Arme. Sie helfen mir, und ich helfe Ihnen. Trotz unserer Differenzen, trotz unserer tief sitzenden Zweifel und Ressentiments schweißt uns die gemeinsame Arbeit zu einer Einheit zusammen. Letztlich verfolgen wir alle ein und dasselbe Ziel.«
»Und worin besteht unser heutiges Ziel, junger Bruder?«, fragte Tik mit seiner sanften Stimme, die dennoch bis in den letzten Winkel des Gebäudes drang. Houey warf einen Blick auf das Blatt Papier in der Hand seines Kollegen und nickte.
»Wir werden den Geistern folgendes Ultimatum stellen.« Tik verkniff sich ein Lächeln. »Sie haben drei Möglichkeiten. Was ich in Anbetracht der Tatsache, dass der Staat keinerlei gesetzliche Verpflichtung ihnen gegenüber hat, für mehr als angemessen halte. Die erste...«
»Moment«, fuhr Tik dazwischen. »Wenn Sie den Geistern schon Bedingungen stellen, sollten sie auch Gelegenheit erhalten, sie zu hören, meinen Sie nicht?«
Siri sah sich um. Die Schamanen waren verwirrt. Sie konnten die Geister unmöglich an einen solchen Ort zitieren. Houey besprach sich mit seiner Tafelrunde. »Das ist nicht nötig.«
»Und wie sollen wir ihnen dann Bescheid geben?«, fragte Tik.
»Wir dachten, Sie könnten es ihnen ausrichten, wenn die Sitzung beendet ist. Oder wenn Sie wieder zu Hause sind.« Houey wurde zusehends blasser.
»Um Himmels willen, nein. Es ist viel einfacher, wenn sie es aus erster Hand zu hören bekommen. Rufen wir sie doch herbei.«
»Das ist wirklich nicht...«
»Brüder und Schwestern Schamanen«, sagte Tik mit lauterer Stimme und richtete sich langsam zu voller Größe auf, »lasset uns die Geister zu einer letzten Versammlung bitten.«
»Ich glaube ni-«
Doch Tik hatte schon mit einem sonderbaren Tanz begonnen. Er sang in einer Zunge, die weder Siri noch einer der anderen Zuschauer je gehört hatte. Wenn überhaupt, dann erinnerte das Ganze an einen Regentanz der Indianer Nordamerikas.
Tik bewegte sich langsam auf die Menge zu, hob die Hände, um die Geister zu beschwören, und stampfte im Takt zu seinem Gesang mit den Füßen. Anfangs schauten die Schamanen drein, als sei er urplötzlich senil geworden. Doch dann sprang eine kleine, kugelrunde Hmong-Frau auf und schloss sich dem Vortänzer an. Sie kopierte seinen Rhythmus, seine Gesten und sang den Kontrapunkt zu seinem Bass.
Die Männer auf der Bühne wechselten ängstliche Seitenblicke; sie wussten nicht, wie sie reagieren oder was sie sagen sollten. So hatten sie das nicht geplant. Einer nach dem anderen standen die Schamanen auf und reihten sich ein. Ein kleines Kind zerrte seinen vermummten Vater an der Hand hinter sich her. Im Gesicht einer alten Frau erschien ein zahnloser Spalt, und sie wirbelte kreischend wie ein junges Mädchen über das Parkett.
Siri hatte noch nie einer Massenséance beigewohnt und war mit dem Protokoll deshalb nur notdürftig vertraut. Doch in einem Punkt hatte er keinen Zweifel: Die Wahrscheinlichkeit, dass dieses Fiasko auch nur einen einzigen Geist aus Himmel oder Hölle ins Rathaus von Luang Prabang
zu locken vermochte, war gleich null. Lachend hievte er sich hoch und schloss sich den Congatänzern an.
Der Rhythmus war so mitreißend, dass es niemanden auf seinem Stuhl hielt,
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