Draakk: Etwas ist erwacht. (Horrorthriller) (German Edition)
Die in langweiligem Ockergrau gehaltenen Gänge, Räume und Türen sowie das völlige Fehlen irgendwelcher Schilder und Beschriftungen ließen jeden Versuch, sich den Weg zu merken, nahezu aussichtslos erscheinen. Die Mitarbeiter, alle in identischer Kleidung, orientierten sich offenbar an Zeichen, die für Singer unsichtbar waren. Oder sie verließen ihre abgesteckten Zuständigkeitsbereiche einfach nie.
Murnauer hingegen schien nicht die geringsten Orientierungsschwierigkeiten zu haben. Er geleitete den kleinen Trupp sicher und zielgerichtet durch das ebenso komplexe wie eintönige Wirrwarr.
Alle paar Meter unterbrachen sie ihren Marsch, um vor einer der dickwandigen Glastüren haltzumachen, die sich erst öffnete, nachdem Murnauer seine Karte durch einen entsprechenden Schlitz gezogen hatte. Vor den meisten dieser Durchgänge standen bewaffnete Posten.
Hin und wieder gelang es Singer, einen Blick in das Innere eines der unzähligen Räume entlang des Flurs zu werfen. Die meisten waren Labore, vollgestopft mit hochmodern aussehenden Geräten, die Singer als EKGs, große Zentrifugen und Gaschromatografen identifizierte, sowie eine Menge Zeugs, das er noch nie im Leben gesehen hatte . Menschen in weißen Kitteln wuselten geschäftig herum oder starrten auf riesige Flachbildschirme – mit einem Wort, es herrschte Hochbetrieb.
Unvermittelt hielt der kleine Tross vor einer weiteren der anonymen Türen, welche Murnauer öffnete, indem er seinen Daumen auf das dafür vorgesehene Display drückte, was Singers Aufmerksamkeit auf die Tatsache lenkte, dass er in dem gesamten unterirdischen Komplex noch keine einzige Türklinke gesehen hatte.
Was würden die hier unten tun, wenn einmal der Strom ausfiel?
Im Inneren des Raums befand sich eine lange Bank, der eine Reihe Spinde gegenüberstand. Das Ganze erinnerte ein wenig an die Umkleidekabine eines exklusiven Sportclubs, aber Singer bezweifelte stark, dass Murnauer den ganzen Aufwand nur betrieben hatte, um ihn zu einer nächtlichen Partie Squash herauszufordern. Die meisten Spinde waren verschlossen, vor den geöffneten lagen kleine weiße Stapel säuberlich zusammengelegter Wäsche. Hinter einem Durchgang befand sich ein großer gefliester Waschraum mit mehreren Duschzellen.
»Bitte entledigen Sie sich all ihrer Kleidungsstücke und benutzen Sie die Dusche«, sagte Murnauer.
Singer hob daraufhin seinen rechten Arm an und gab vor, seine Achselhöhle zu beschnuppern.
»So schlimm?«, grinste er breit.
»Benutzen Sie bitte auch die antiseptische Reinigung in der Dusche und waschen Sie sich Ihr Haar, Dr. Singer. Im Spind können Sie Ihre private Kleidung und alle persönlichen Gegenstände verstauen, anschließend ziehen Sie bitte das da an.« Er deutete auf die weißen Stapel auf der Bank.
Etwa fünfzehn Minuten später trat Singer wieder aus dem Umkleideraum – die spätabendliche Dusche hatte ihn endgültig munter gemacht und die letzten Spuren des Alkohols erfolgreich aus seinem Kreislauf vertrieben. Draußen wurde Singer von den beiden bewaffneten Soldaten in Empfang genommen, die im grau getünchten Gang tapfer die Stellung gehalten hatten. Murnauer hingegen war verschwunden.
»Wozu betreibt ihr eigentlich all diesen Aufriss hier unten, hm?«, versuchte Singer ein Gespräch mit einem der Soldaten in Gang zu bringen.
»Quarantänemaßnahmen«, lautete die Antwort, die allerdings nicht von dem angesprochenen Soldaten kam, sondern direkt hinter Singer ihren Ursprung hatte. »Man hält uns offenbar für schrecklich schmutzige Lausebengel.«
Singer drehte sich um und blickte in das vollbärtige Gesicht eines stämmigen Mannes um die fünfzig. Eine wirre, nach allen Seiten abstehende Lockenpracht in sämtlichen Schattierungen von Grau und Weiß sowie ein Paar in unzählige Lachfältchen eingebettete Augen ließen Singer unwillkürlich an Tannenbäume und vor dem Kamin aufgehängte Socken denken – lediglich die reinweiße Kleidung, eine identische Ausgabe von Singers eigener Haute Couture , störte das Bild ein wenig.
»Dr. Schlesinger zu Ihren Diensten«, sagte der breit grinsende Weihnachtsmann und streckte Singer seine kräftige Rechte entgegen. »Astrophysik«, fügte er in einem Ton hinzu, als würde dies alle offenen Fragen restlos und endgültig klären. Was es natürlich nicht tat, im Gegenteil.
Astrophysiker, dachte Singer, in einem biologischen Geheimlabor unter der Erde? Was kam als Nächstes? Ein künstlicher Gletscher, auf dem der Yeti herumtollte
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