Draakk: Etwas ist erwacht. (Horrorthriller) (German Edition)
eine abwägende Geste in der Luft, bevor er zur Tür hinausstiefelte. Dabei grinste er nicht mehr.
Ein wenig später kämpfte sich Singer durch den gewaltigen Stapel Papier, den ihm die Schwester brachte – offenbar war dies das übliche Prozedere, wenn im Krankenhaus jemand ohne Ausweis eingeliefert wurde. Nach endlosen Formalitäten, Erklärungen und Unterschriften glaubte man ihm schließlich, dass er im richtigen Leben tatsächlich krankenversichert und nicht vorbestraft war und seine Rechnungen mehr oder weniger pünktlich zu bezahlen pflegte. Damit war er offiziell entlassen.
Anschließend quälte er sich in die Klamotten, die man ihm mit der treffsicheren Stillosigkeit eines blinden Modeschöpfers zusammengewürfelt hatte: Ein knallbuntes Hawaii-Hemd, dessen Vorderseite ein riesiger Papagei zierte, der die optische Illusion eines immensen Bierbauchs hervorrief, auch wenn sich – wie in Singers Fall – ein durchaus definierter Sixpack darunter befand.
Dazu spendierte man ihm eine hellbraune Cordhose mit Schlag (offenbar ein Relikt aus den frühen Siebzigern), einen Daunenanorak sowie nicht im Geringsten zu dem Ensemble passende flaschengrüne Wildlederschuhe. Außerdem ausgebeulte Feinrippunterwäsche, die wohl irgendwann einmal weiß gewesen sein mochte. Nicht gerade todschick, aber einigermaßen warm und vor allem sauber.
Singer nahm die Tüte mit seinen wenigen Wertgegenständen – seine treue Taschenlampe und die kleine Kassette – entgegen und verabschiedete sich aus dem Krankenhaus.
Auf der Straße atmete er zunächst tief durch. Er war frei. Und er hatte einen Giganten der Urzeit, der sich lächerlicherweise als Arzt verkleidet hatte, sowie eine ungemein begriffsstutzige Krankenschwester überstanden, und das noch vor dem Frühstück! Zum Institut konnte er von hier aus laufen, es war nur einige Straßen weiter. Er hatte, mittellos wie er momentan war, ohnehin kaum andere Möglichkeiten, vom Fleck zu kommen. Und langsam machte sich auch ein stärker werdendes Hungergefühl bemerkbar.
Singers Verdacht
S inger betrat die geräumige Vorhalle des Murnauer-Instituts. Als er sich an Sabine, die Empfangsdame des Instituts wandte, hatte diese offensichtliche Probleme, ihn wiederzuerkennen. Was nur teilweise auf seinen anderthalbjährigen Peru-Aufenthalt und die entsprechend verwegene Langhaarfrisur samt Tropenbräune und Stoppelbart zurückzuführen war.
»Dr. Singer? Sind Sie das?«, wunderte sich die hübsche Brünette mit dem nicht zu übersehenden Ansatz eines kleinen Kugelbäuchleins. »Ich hätte Sie ja beinahe nicht erkannt!«
Sie kniff die Augen zusammen und musterte Singer von Kopf bis Fuß. »Führen Sie uns etwa mit dem neuesten Modetrend aus Südamerika vor? Sexy, ich muss schon sagen!«, schmunzelte sie.
»Ja, ich bin’s tatsächlich, Sabine! Zurück aus dem Dschungel sozusagen und – offengestanden – ziemlich in Eile. Aber an diese Klamotten werden Sie sich wohl gewöhnen müssen – in spätestens einem Jahr trägt das hier jeder so!«
»Was Sie nicht sagen, Dr. Singer«, sagte die adrette Empfangsdame. Die beginnende Schwangerschaft hatte einen rosigen Schimmer auf ihre jugendlichen Wangen gezaubert und auch das wirkte überaus adrett.
»Also, was kann ich für Sie tun, Dr. Singer?«
»Kommt darauf an. Wer ist denn der aktuelle Stellvertreter hier, wenn Murnauer nicht da ist?«
»Hmm, das wäre dann Dr. Schindler. Wieso?«
»Ich muss ihn sprechen, dringend«, sagte Singer, während seine Hand unwillkürlich in die Manteltasche glitt und mit mit der kleinen Videokassette herumzuspielen begann.
»Hmmm, das ist schwierig. Dr. Schindler ist noch bis Freitag im Ausland. Aber wieso sprechen Sie denn nicht mit dem Chef selbst?«
»Er ist … Murnauer ist hier?«, fragte Singer einigermaßen verblüfft.
»Ja er ist hier, aber da werden Sie sich wohl gedulden müssen. Er hat für heute Vormittag bereits alle Termine abgesagt, es gab wohl irgendwelche Schwierigkeiten in einem Labor oder so etwas in der Art …«
»Schwierigkeiten …«, wiederholte Singer. Die Untertreibung des Jahrhunderts.
Er hörte auf, mit der Kassette in seiner Tasche zu spielen und wandte sich zum Lift. Über seine Schulter warf er ein »Herzlichen Glückwunsch übrigens!« zurück. So richtig lächeln konnte er jedoch nicht.
»Oh danke schön!«, flötete Sabine und legte stolz eine Hand auf ihren runden Babybauch. Singer blieb vor dem Aufzug stehen und drehte sich nachdenklich zu der
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