Draakk: Etwas ist erwacht. (Horrorthriller) (German Edition)
sie leise.
Singer, dessen Vorstellung von 'voll erwischt' sich in den letzten Stunden stark relativiert hatte, verkniff sich einen bissigen Kommentar über die angeknacksten Finger des Jungen.
»Wie heißt du, Mädchen?«, fragte er stattdessen die Kleine.
»Ich bin die Lena«, antwortete sie zaghaft, und Singer stellte Antonia, Martin und sich selbst vor. Die förmliche Geste wirkte vielleicht etwas fehl am Platze, aber ein bisschen Zivilisation tat gut, hier drinnen, das spürten sie alle.
»Sag, Lena, warum gehst du nicht mal zu ihm rüber und versuchst, mit ihm zu reden? Versuch' ihn etwas aufzumuntern, ja?«, sagte Singer und blickte nachdenklich in Richtung Altar, an dem der Junge immer noch bewegungslos stand und düster auf das riesige Holzkreuz starrte. Dann schenkte er dem Mädchen ein beherztes Lächeln, was dieses zögernd erwiderte. Allzu überzeugend wirkte seine Zuversicht angesichts ihrer Situation wahrscheinlich nicht, darüber war sich Singer wohl im Klaren. Aber im Moment war es einfach das beste Lächeln, das er zustande brachte.
Antonia lief zu Martin, der immer noch bei dem hohen Fenster Wache hielt und die Umgebung draußen beobachtete, während Singer bei der Reisetasche sitzen blieb. Als Antonia ein Stück weg war, warf er einen flüchtigen Blick zu dem Geschwisterpaar vor dem Altarkreuz. Der Junge sprach jetzt mit Lena. Gut. Dann zog er leise den Reißverschluss der Tasche auf.
Zuflucht
»S ind sie noch da draußen?«, fragte Antonia leise und tastete nach Martins Hand. Der ergriff die ihre und nickte stumm, ohne den Blick vom Fenster abzuwenden. Momentan standen die Dorfbewohner einfach unschlüssig vor dem Eingang herum, als erwarteten sie, dass die Fremden von allein wieder herauskämen. Und genau genommen würden sie das irgendwann auch tun müssen. Und noch etwas fiel ihm auf, und es war ebenfalls kein gutes Zeichen. Die stumme Menschenmenge im dichter werdenden Schneegestöber wurde größer . Mehr und mehr Menschen schlurften ungeachtet der eisigen Kälte aus ihren Häusern, über den Dorfplatz und sammelten sich vor der Kirche. Und ihr Zustrom schien nicht abzureißen.
Eine Frau von vielleicht vierzig Jahren ging, nur mit einem dünnen Negligé bekleidet, quer über den Marktplatz auf die Kirche zu. Ihr langes brünettes Haar flog im eisigen Wind, aber sie schien die Kälte nicht zu spüren. Ihr Gang hatte etwas unnatürlich Staksendes, aber im Gegensatz zu den meisten der anderen, die einfach tatenlos vor der Kirche herumstanden, wirkte sie lebendiger, irgendwie agiler. Ihre Schritte waren weniger zögerlich und regelrecht zielgerichtet, während sie auf die stumme Versammlung vor der Kirche zuschritt. Als sie den Vorplatz zum Eingang der Kirche erreicht hatte, blieb sie jedoch unvermittelt stehen, als sei sie gegen eine unsichtbare Wand gelaufen und drehte sich ruckartig zu dem großen Eichenportal herum. Im Schein der spärlichen Beleuchtung war ihr Blick sehnsüchtig auf den Eingang der Kirche gerichtet. Sehnsüchtig und hungrig , wie die Blicke der anderen. Aber ihr Gesichtsausdruck schien außerdem leidend und wirkte gequält, so als wäre eine zweite, schwächere Persönlichkeit in ihr sich der Rolle vage bewusst, die man ihr zu spielen aufgezwungen hatte. Und diese Persönlichkeit litt unmenschliche Schmerzen.
Ein kleiner Junge in einem weißen Schlafanzug, auf dessen Stoff bunte Teddys gedruckt waren, tapste aus einem anderen Haus herbei. Er schleifte etwas hinter sich her, das man aus einiger Entfernung für ein Plüschtier halten mochte. Was der Kleine tatsächlich mit der Hand umfasste, war das gebrochene Genick seines Lieblings-Katzenbabys aus dem Körbchen mit dem Achterwurf, mit dem er am Morgen noch
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