Draakk: Etwas ist erwacht. (Horrorthriller) (German Edition)
regelrecht alarmieren oder wenigstens beunruhigen sollen. Im Postskriptum des knappen Briefs hatte gestanden:
Ich glaube, Mama geht es nicht so gut. Kannst du bitte nach Hause kommen?
Das war ein echter Brüller – Mama ging es seit ungefähr zehn Jahren nicht so gut , nicht wahr? Aber was hätte sie auch sonst schreiben sollen? Die hingekritzelte Zeile war nicht der verzweifelte Hilferuf eines Teenagers, sondern die knappe Notiz einer erwachsenen Frau. Einer tief enttäuschten erwachsenen Frau, die sich kaum traute, ihn, den großen Singer, der im Nebenberuf zufällig auch ein bisschen ihr Vater war, mit derlei Nebensächlichkeiten zu belasten.
Kannst du bitte nach Hause kommen?
Nicht sein Zuhause. Nicht mehr. Das kleine Haus inmitten der Kornfelder und das quietschende apfelgrüne Bett darin gehörten der Vergangenheit an. Und trotzdem hatte Antonia »nach Hause« geschrieben.
Als er den Brief geöffnet hatte, war dieser bereits knapp zwei Wochen alt gewesen und Anna war im fernen Deutschland bereits in die Welt jenseits der Spiegel gegangen, diesmal für immer. An einem regnerischen Dienstagabend hatte sie auf der B73 in der Nähe ihres Häuschens in Harburg die Kontrolle über den Volvo V40 verloren und war gegen einen Baum gekracht. Das Rentnerpärchen in der kleinen Reihenhauswohnung gegenüber hatte im ersten Moment geglaubt, Zeuge eines kleinen Erdbebens geworden zu sein. Auf das ausbleibende Nachbeben hin hatten sie schließlich durch die Gardinen ihres Fensters nach draußen gespäht und sofort die Notrufzentrale der Feuerwehr angerufen – fest davon überzeugt, dass in den großen Baum gegenüber ein Blitz eingeschlagen war. Das verbeulte Wrack des V40 hatten sie durch die dichte Regenwand gar nicht gesehen.
Sie war nicht angeschnallt gewesen, aber der Airbag hatte den Großteil ihres Körpers in Position gehalten, während ein armdicker Ast das Dach des Wagens durchschlagen hatte, was dem Volvo das Aussehen einer hastig geöffneten Konservendose verlieh. Ein breiter Streifen des Blechs aus dem Wagendach war ins Innere gedrückt worden und hatte sich zentimeterweise in Annas Gesicht und Oberkörper gegraben. Aus irgendeinem Grund hatte der Tank anschließend Feuer gefangen und den Wagen in einem grellorangen Feuerball verwandelt, der trotz des Regens fröhlich weiterbrannte, bis die Feuerwehr ihn schließlich löschte. Schuld daran war vor allem der Kunststoff des Armaturenbretts, der geschmolzen und in dicken Tropfen auf Annas Beine getropft war. Aber das hatte sie wahrscheinlich schon gar nicht mehr mitbekommen, der Rauch musste sie lange vorher bewusstlos gemacht haben. Zumindest gab das der verantwortliche Löschmeister zu Protokoll.
Die verkohlten Überreste auf dem Fahrersitz wurden schließlich anhand des Zahnprofils als die von Anna Singer, 38, geschieden, identifiziert. Andere Anhaltspunkte bot der bis zur Unkenntlichkeit verbrannte Leichnam nicht mehr. Da man ihren Ex-Ehemann nicht erreichen konnte, wandte sich die Polizei schließlich an das Institut, und so gelangte diese Nachricht über einige Umwege fast zeitgleich mit dem verspäteten Brief seiner Tochter in Singers Hände.
Antonia hingegen hatte noch in derselben Nacht vom Tod ihrer Mutter erfahren. Ein Polizistenpärchen mit einem übermüdeten Soziologen im Schlepptau hatte ihr die Nachricht im Studentenwohnheim überbracht. Die Polizisten blieben lange genug, um Antonia ihr Beileid auszusprechen und die Hilfe des Soziologen anzubieten, dem es nur mit Mühe gelang, sein Gähnen zu unterdrücken. Ob sie Angehörige habe, an die sie sich wenden könne? Und wenn sie Unterstützung brauche, einen
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