Draakk: Etwas ist erwacht. (Horrorthriller) (German Edition)
diesem Haus und bei ihrer Mutter, die auf einem dünnen Drahtseil über einem tiefschwarzen Abgrund tanzte und dabei gar muntere Kapriolen schlug.
Er hatte die Tüte mit dem kleinen Plüschaffen auf den Beifahrersitz des Audi gesetzt und war hinaus nach Harburg gefahren. Ein Plüschäffchen? Gott, Antonia war achtzehn geworden und nicht acht!
Als er das kleine Zimmer betrat, saß seine Tochter auf ihrem alten, mittlerweile etwas zu kleinen Holzstuhl – eins von diesen unverwüstlichen Dingern, die von irgendeinem abgewirtschafteten Schulausstatter zu stammen scheinen, der Pleite gemacht hat, weil der Besitzer der vorsätzlichen Folterung von Schülern angeklagt und für schuldig befunden worden ist. Ihr blondes Haar hatte sie durch ein ausgeleiertes knallrotes Haargummi aus Frottee zu einem Pferdeschwanz gebunden. In ihrem blassblauen Pauli-T-Shirt wirkte sie kindlicher denn je. Der kleine Maulwurf stand stolz mit einem kleinen Spaten auf dem Gipfel seines Maulwurfhügels, daneben all seine Freunde. Anna hatte ihr das Shirt vor Jahren gekauft.
Antonia hatte die schmucke kleine Tüte mit dem eleganten blauen Geschenkband mit einem vorsichtigen Lächeln entgegengenommen, sich artig bedankt und sie ungeöffnet auf die Frisierkommode gestellt. Auf der Kommode thronte ein Ungetüm von einem Spiegel. Ein Spiegel, wie ihn Teenager seit Anbeginn der Zeit mit unzähligen Schnappschüssen von Freunden und Lieblingshaustieren zu bekleben pflegen, bis nur noch winzige Stückchen der Spiegelfläche frei für ihre eigentliche Verwendung sind. Antonias Spiegel hingegen erinnerte in seiner glatt polierten Leere auf gespenstische Weise an den Blick, den ihm ihre Mutter vor ein paar Minuten an der Tür geschenkt hatte.
Ein einzelnes Foto klebte am Rand dieses Spiegels, es zeigte sie drei während eines Zoobesuchs vor vielen Jahren. Anna, Antonia und er. Ein kleines Äffchen saß auf seiner Schulter und langte neugierig nach dem Eis in Antonias Hand. Das kleine Mädchen mit der verschmierten Schnute (es fehlten die beiden oberen vorderen Schneidezähne in dem entzückenden Kinderlachen – stolz wie Bolle war sie darauf gewesen: ‘Schau mal, Papa! Mein Zahn ist locker, mein Zahn ist locker!’) hatte das gleiche seidenweiche blonde Haar wie ihre Mutter, mit der sie um die Wette strahlte. Glückliche, längst vergangene Zeiten. Wie eine richtige kleine Familie …
Antonia war seinem Blick gefolgt und hatte ihren schmalen Körper hastig in die Sichtlinie zwischen ihren Vater und die Fotografie am Spiegel geschoben. Verlegen hatte er den Blick abgewandt und ihn durch das kleine, aufgeräumte Zimmer schweifen lassen. Weiße, schmucklose Wände, fast leer stehende Regale (Antonia war vor Kurzem ins Studentenwohnheim umgezogen – den Großteil ihrer Sachen hatte sie wohl schon mitgenommen) und alte, schwere Eichenschränke mit den Gebrauchsspuren vieler Jahrzehnte. Möbelstücke, die eine Geschichte erzählen konnten. Sie hatten sie gemeinsam aus Haushaltsauflösungen, von Flohmärkten und teilweise sogar vom Sperrmüll herbeigeschleppt. Damals, lange bevor das Treibgut im Fluss in die gefährliche Strömung geraten war.
Neben den wenigen Büchern auf dem windschiefen Regalbrett stand eine holzgerahmte Fotografie ihrer lächelnden Mutter, ebenfalls aus besseren Zeiten. Viel besseren Zeiten. Das Sommerlicht spielte in ihrem lockigen blonden Haar und Anna lächelte glücklich auf den Betrachter hinab. Und sah verdammt hübsch dabei aus. Er fragte sich, ob er jemals zu solch bedingungsloser Liebe fähig gewesen war, wie sie Anna auf diesem Bild ausstrahlte. Und ob er es verdient hatte, diese Art von Liebe
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