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Drachen der Finsternis

Titel: Drachen der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonia Michaelis
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Mein Herz ist gierig nach Stille, doch sie sagen: Die Stille kommt später.
    Zuerst kommt das Wort, sprich laut, wer es spricht! Denn wer zu leis ist, den hört man nicht.
    Mein Herz ist gierig nach Träumen, Träumen im Land meiner Väter. Mein Herz ist gierig nach Träumen, doch sie sagen: Das Träumen kommt später.
    Zuerst kommt die Tat, die die Mauer zerbricht, denn wer nichts tut, den spürt man nicht.
    Mein Herz ist gierig nach Schlaf, Schlaf im Land meiner Väter. Mein Herz ist gierig nach Schlaf, doch sie sagen: Der Schlaf, der kommt später.
    Zuerst kommt das Wachen, zuerst kommt das Licht, wer die Augen verschließt, dem glaubt man nicht.
    Mein Herz ist gierig nach Lehen, Leben im Land meiner Väter. Mein Herz ist gierig nach Leben, doch sie sagen: Das Leben kommt später.
    Zuerst kommt der Tod, der uns befreit, und sie fragen mich: Bist du zu sterben bereit?
    Für die Stille, die Träume, den Schlaf und den Frieden im Land deiner Väter?
    Und ich sage: Die Stille, die Träume, der Schlaf und der Frieden: Das alles kommt später...
    Ihre Worte verfolgten ihn bis zurück zu dem Quartier, wo niemand sein Fortgehen bemerkt hatte, bis in den Schlaf, bis in die Träume, die er in den wenigen Stunden bis zum Morgengrauen träumte. Am nächsten Morgen fragte er sich, ob er nicht auch jene unglaubliche Begegnung mit Niya geträumt hatte. Denn –wie unwahrscheinlich war das doch, dass gerade er, Christopher –
    Aber der ferne Geruch ihrer Haut hing noch in seinen Kleidern fest, und da musste er seiner Erinnerung glauben.
    Und obgleich er so müde war, dass er die Füße kaum vorei-nandersetzen konnte, sang der nächste Tag in seinen Adern. Sie hatten einen Plan. Sie würden Arne befreien – Jumar konnte die Schlüssel besorgen, und Niya wusste, wo er sie suchen musste. Niemand würde ihr Fortgehen in einer Nacht wie der letzten bemerken. Nun brauchten sie nur noch Jumar wiederzufinden.
    Doch dann passierten mehrere Dinge. Die Wachsamkeit in der geschmolzenen Stadt nahm zu, und alles kam ganz anders.
    Aber zunächst fanden nicht sie Jumar. Jumar fand sie.
    »Ich brauche einen, dem ich vertrauen kann, was diese Dinge betrifft«, sagte der große T und trat ans Fenster des kahlen Raums mit dem Tisch und dem Stuhl darin, um über die Stadt hinaus zu sehen. Schnee lag auf den unregelmäßig geformten Mauern und Dächern der geschmolzenen Häuser. Der Schnee selbst schmolz nicht. Wenn es so wäre wie jedes Jahr, würde er liegen bleiben, bis sie die Stadt verlassen hatten.
    »Einem Unsichtbaren könntet Ihr niemals vertrauen«, erwiderte Jumar.
    »Wer weiß?«, murmelte der große T und drehte sich um.
    »Etwas wie heute darf nie wieder geschehen. Nie wieder. Wenn diese drei zu Kartan zurückkehren, sind wir geliefert. Ich bin dir dankbar, dass du zu mir gekommen bist. Aber wenn dies allein deine Aufgabe wäre, hättest du früher kommen können. Dann hätten sie das Lager gar nicht erst verlassen.«
    Jumar trat unbehaglich von einem Fuß auf den anderen. Er spürte etwas wie Stolz in sich aufsteigen, doch daneben lauerte noch etwas anderes – etwas Beißendes, wie ein schlechter Geruch. Etwas Kaltes.
    Zwei der Männer in seinem Trupp waren unecht gewesen, von Anfang an. Kartan hatte sie geschickt. Ein dritter hatte sich ihnen angeschlossen, und Jumar hatte sie flüstern hören. Sie hatten geglaubt, sie sprächen so leise, dass er sie nicht hören könnte. Wie dumm sie waren. Wenn er die Decke um seine Kleider wickelte, blieb die Decke sichtbar – ein Zeichen für die anderen, dass er da war, dass er neben ihnen auf dem Boden lag, dass der Trupp vollzählig war.
    Doch in der letzten Nacht hatte er gespürt, dass etwas nicht stimmte. Da war eine Spannung in der Luft gewesen, ein Knistern – leise nur, kaum vernehmbar. Er hatte seine Jacke in die Decke gewickelt, eine Jacke, die unsichtbar blieb, solange er sie anfasste, und so hatte keiner gemerkt, was er tat. Jumar selbst aber war wach geblieben, hatte sich an die Wand gelehnt und gewartet. Und so hatte er gesehen, wie die drei das Haus verließen, leise, verstohlen. Ein unsichtbarer Schatten folgte ihnen und hörte ihre geflüsterten Worte in der Nacht: »Im ersten Ort wartet einer von Kartans Leuten auf uns«, sagte der eine. »Mit Pferden und Waffen. Wir müssen nur den ersten Ort erreichen.«
    Der, der nicht von Anfang an bei ihnen gewesen war, hatte Angst gehabt – Jumar hatte es gespürt. Aber die anderen beiden hatten ihn beruhigt.
    »Er wird uns gut

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