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Drachen der Finsternis

Titel: Drachen der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonia Michaelis
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zögerte. »Es wird sich wohl nicht vermeiden lassen«, sagte er schließlich. »In diesen verdammten Bergen wäre ich ohne euch sowieso aufgeschmissen.«
    »Danke«, flüsterte Jumar.
    Da griff Niya nach dem ersten Haken in der Felswand, setzte den Fuß auf das erste Stück Metall und begann, den Weg zu gehen, den jemand aus irgendeinem unbegreiflichen Grund vor ihnen an der senkrecht abfallenden Felswand geschaffen hatte.
    »Es ist... ganz einfach«, keuchte sie. »Der Felsen macht hier ei 1 ne Biegung ... ich ... kann noch nicht sehen, wohin dieser Weg führt...«
    Jumar sah, wie Christopher die Augen schloss und wieder öffnete.
    Dann begann er, Niya nachzuklettern, und Jumar folgte ihm...
    Der Wind, der sie eine Weile in Frieden gelassen hatte, kam jetzt wieder. Vielleicht war er neugierig geworden, weshalb die Wanderer nun senkrecht an der Wand klebten wie Insekten. Er sang sein Lied in den Spalten des Felsens, sang von Tiefe und Höhe und von uralter Zeit.
    Aber auch der Wind verriet ihnen nicht, wohin die Haken im Felsen führten.
    Der Felsen machte tatsächlich eine Biegung, und sie sahen das Ende des Pfades bald nicht mehr – sie hingen in der Luft, im Nichts, ohne einen Anhaltspunkt. Die Haken führten jetzt aufwärts, weiter und weiter kletterten sie, und Jumars Hände begannen zu schmerzen. Das machte ihm Angst. Wenn die Kraft ihn verließ, ehe sie das Ende dieses bodenlosen Pfades erreichten, wenn seine Hände sich weigerten, weiter die eisernen Haken festzuhalten – dann würde er in die Tiefe stürzen, schwer wie ein Stein. Und es würde ihm nichts nützen, dass niemand seinen Fall beobachten konnte. Er würde unten auf hartem Felsen aufschlagen und nie, nie herausfinden, was damals vor seiner Geburt geschehen war.
    Und nie, niemals sichtbar werden.
    In diesem Moment schrie Niya auf, und er zuckte zusammen.
    Er sah, dass sie nach oben blickte. Und von dort, hoch über ihnen, kam einer der Farbdrachen hinuntergeschwebt. Es war der größte und schönste Drache, den Jumar je gesehen hatte. Seine Flügel glitzerten türkis und tiefblau in der Sonne, sein Körper schillerte violett, und von seinem langen Hals ging ein goldenes Gleißen aus, das beinahe zu hell war, um hinzusehen. Hatte der Drache sie entdeckt?
    Er kam immer näher.
    Jumar sah, wie Niya eine Hand vom Felsen löste und ihr Gewehr anlegte. Sie schaffte es, mit der einen Hand den Hahn zu betätigen; Jumar hörte das Klicken schärfer und deutlicher in der leeren Luft, als er es jemals gehört hatte. Der Drache war jetzt ganz nahe. Die Sonne warf seinen Schatten ein Stück oberhalb von Niya auf die Felswand. Wenn er nur noch ein wenig weiter hinabsegelte, würde der Schatten sie berühren ... dann löste sich der Schuss aus ihrer Waffe.
    Jumar hielt den Atem an. Er hatte erwartet, das Tier würde einen Schrei von sich geben, würde in der Luft taumeln, würde stürzen – doch nichts dergleichen geschah. Der Drache schwebte noch immer auf der gleichen Stelle, und etwas Buntes –etwas wie Federn rieselte aus der Luft zu ihnen herunter. Hatte die Kugel ihn nur gestreift? Eine der Federn verfing sich in der Kapuze von Niyas Parka – Jumar sah das blaue Schillern dort wie einen Farbklecks. Er sah, wie Niya noch einmal mühsam mit einer Hand lud, und hörte den zweiten Schuss: Wieder glaubte er, sie würde treffen, und wieder geschah nichts. Es war, als könnte Niya mit einem Mal nicht mehr schießen.
    Jetzt hob der Drache seine mächtigen, bunten Schwingen, gewann abermals an Höhe, ließ sich dann wieder fallen – als beobachtete er sie, während er über ihnen entlangschwebte. Einmal spie er eine Feuersäule in die Luft. Und dann glitt sein Schatten über die Felswand von oben aus auf Jumar zu. Er kletterte panisch zwei Haken weiter. Der dunkle Schatten des Drachen huschte über den Felsen wie ein Fleck aus Angst. Hatte er im Vorübergleiten Jumars rechte Hand gestreift? Sekunden später befand er sich unterhalb der drei Kletterer. Der Drache drehte dort unten eine Runde, stieg anschließend in einer vollendeten Schleife wieder auf und verschwand schließlich – als hätte er genug gesehen. Jumar starrte seine Hand an.
    Dann bewegte er ganz langsam die Finger. Es ging. Sie waren nicht aus Bronze. Nichts an Jumar war aus Bronze. Der Schatten des Drachen war millimetergenau an ihm vorbeigewandert.
    Er atmete einmal tief durch.
    Dann kletterte er weiter, Christopher und Niya nach.
    Wie kam es, dass Niya den Drachen nicht getroffen hatte? Sie,

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