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Drachen-Mädchen

Titel: Drachen-Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
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beobachtet hatte. König Dor stellte Königin Irene auf ein Podest. Zwar beschwerte Irene sich häufig darüber, aber insgeheim war sie darüber doch recht glücklich. Ivy hatte viele Stunden darauf verwandt, Schloß Roogna nach diesem Podest abzusuchen, doch anscheinend war es unsichtbar, genau wie die Gespenster. Endlich begriff sie, daß es ein magisches Podest war, wie das Ungeheuer-unter-dem-Bett, das nur sie sehen konnte. König Dor konnte Königin Irene auf ein Podest stellen, das kein anderer sehen oder fühlen konnte, und Irene konnte nicht heruntersteigen, so sehr sie sich auch darüber beklagen mochte. Es war eben ein besonderer Zauber, den er zu verhängen wußte. Ivy mochte Zauber, deshalb hatte sie versucht, ihr eigenes unsichtbares Podest zu errichten, auf welches sie ihre Freunde stellen konnte. Zwar hatte sie es mit viel Fleiß endlich zustandegebracht, aber es fehlte ihr noch ein passender Freund dazu. Krach der Oger war doch etwas zu groß, um darauf zu passen.
    Aber nun hatte sie einen geeigneten Freund gefunden, und so stellte sie Stanley darauf. Er war wirklich der liebste aller kleinen Drachen, die sie kannte.
    Wie Ivys Mutter fühlte auch Stanley sich nicht so recht wohl auf seinem Podest; doch ebenfalls wie Ivys Mutter war er auch nicht völlig unglücklich darüber. Podeste hatten ihre Vorteile, und dieses hier war gerade richtig für seine Größe. Das lag wohl auch an Ivys Talent der Verzauberung. Egal, welche Eigenschaften oder Fähigkeiten ein Wesen in ihren Augen haben mochte, durch sie wurden sie stets stärker betont, wurde es mächtiger, stärker und gut. Als sie bemerkt hatte, wie gut ihre Mutter Pflanzen wachsen lassen konnte, hatte sie es plötzlich noch viel besser gekonnt. Als Ivy dem freundlichen, geschwätzigen Yak begegnet war, war das Geschöpf noch freundlicher und hilfsbereiter geworden. Und nun sah Ivy, wie hübsch und nett Stanley in Wirklichkeit war.
    Stanley litt unter einer vorübergehenden Verwirrung, wie es ganz normal für Lebewesen war, die sich plötzlich und unverhofft auf einem Podest wiederfanden. Er hatte nicht gewußt, daß er Stanley hieß. Er hatte nicht gewußt, daß er wunderbar war. Und schon gar nicht hatte er gewußt, daß er hübsch war. Da kam Ivys Magie voll zum Tragen, denn es war ein Zauber vom Kaliber eines Magiers, die Art von Macht, die nur wenige Sterbliche jemals begreifen; und so wurde der Drache genau das, als was sie ihn sah: ein attraktiver und treuer Freund und Spielkamerad, und ein Schoßtier. Wie so viele männliche Wesen vor ihm erlag er dem Zauber eines kleinen weiblichen Geschöpfs, ohne so recht um ihre Magie zu wissen. Er merkte nicht, daß er eine entscheidende Schlacht verloren hatte; er hatte nicht einmal gewußt, daß eine Schlacht im Gange gewesen war. Weil seine angeborenen Instinkte ihm für diese Rolle keine Verhaltensmuster vorzugeben vermochten, mußte er statt dessen Ivys annehmen. Er war genau das, was sie haben wollte.
    Weil sie war, was sie eben war, nämlich ein Wesen voller Liebe, Unschuld und unbewußter Macht, hatte Ivy in einem einzigen Augenblick das schrecklichste aller Ungeheuer Xanths gezähmt – den Spaltendrachen. Das hatte noch nie jemand geschafft. Manche Menschen würden es vielleicht für ein Wunder halten, doch das war es nicht; es war lediglich ein frühes Indiz für Ivys herausragendes Talent, das jenem ihres Großvaters Bink verwandt war.
    »Du mußt aber harte Schuppen haben!« sagte Ivy und klopfte auf Stanlys Halsschuppen; nun waren sie metallhart. »Und so schön bunt!« Worauf die Farben immer intensiver zu leuchten begannen, so daß Stanley nun so hübsch war, daß er ein argloses Betrachterauge mühelos hätte blenden können. »Ach, du bist so ein lieber Drache!« Sie umarmte seinen Hals und küßte sein grünes Ohr.
    Wie betäubt ließ der Drache es über sich ergehen.
    »Und dein Dampf ist so schön heiß«, fuhr sie fort. Stanley stieß einen Dampfstrahl hervor, der nun tatsächlicher heißer war als alles, was er bisher hervorgebracht hatte.
    Ivys Aufmerksamkeit wandte sich schon bald wieder von ihm ab, denn sie war schließlich nur ein kleines Mädchen mit einer sehr geringen Aufmerksamkeitsspanne. Sie brauchte sie auch kaum. »Ich habe Hunger! Du nicht?«
    Stanley bestätigte mit einem Kopfnicken, daß er ebenfalls hungrig sei, wobei seine Halsschuppen dunkelten. Genaugenommen fühlte er sich jetzt geradezu ausgehungert.
    »Dann müssen wir etwas zu essen suchen«, beschloß Ivy.

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