Drachen-Mädchen
Käsestück knabberte, das mit kleinen roten Kästchen, Zahlenkolonnen und Maßangaben versehen war. Nach einigen weiteren Käfigen entdeckte Ivy schließlich auch IMMENS-CHEN, ogergroße Männer.
Ivy blieb stehen. Sie fand es nicht richtig, Menschen, gleich welcher Art, einzusperren, und da ihr Gehirn noch klein war, hatte es diesen Gedanken sehr schnell in Handlungsanweisungen übersetzt: »Stanley, laß uns diese Wesen befreien.«
Willig ließ der Drache einen heftigen Dampfstrahl hervorschießen, der das Blattschloß des IMMENS-CHEN-Käfigs zum Schmelzen brachte, so daß die Käfigtür aufschwang und die Immens-chen erfreut hinausströmten.
Nun machten Stanley und Ivy sich daran, auch die anderen Käfigschlösser zu zerschmelzen. Bald darauf waren alle eingesperrten Wesen frei und jagten so wild umher, daß Ivy und Stanley an den Rand des Baum-Heims zurückwichen, von wo sie auf einen Nachbarbaum sprangen, in der Hoffnung, daß es dort weniger hektisch zugehen würde. Doch bereits als sie auf einem der geraden, weit ausladenden Äste landeten, ertönte überall ein Klingeln wie von kleinen Glöckchen, das sich zu einem ohrenbetäubenden Lärm steigerte. Ein Messingschild am Stamm – sofern sie es hätten lesen können – trug die Inschrift: SCHELLENBAUM.
Im nächsten Augenblick umrundete eine Gruppe von buntgekleideten Gestalten mit Pfeifen, Pauken und Trompeten den buntgeschmückten Stamm. Eine Musik-Band. Mehr noch, es waren viele Bänder, rote, weiße und gestreifte, die alle auf ihren Instrumenten trommelten und pfiffen, was das Zeug hielt.
Ivy und Stanley sahen dem Treiben eine Weile zu, da sie der bunte Aufzug faszinierte. Aber das Leben ist nicht nur ein Schützenfest, und so sprangen sie, als sie genug davon hatten, auf den nächsten Baum hinüber. Das war, wie auf einem bedruckten Blatt zu lesen war, eine DATENPALME, deren Wedel alle Tage des Jahre darstellten. In kleinen Erdkelchen wuchsen Tageslilien, die aber stets nur einen Tag blühten, so daß man immer genau wußte, welches Datum man hatte. In der Mitte befand sich eine große Jahrhundertpflanze, deren dicke, lange grüne Blätter sich kugelförmig ausbreiteten und an den Seiten und Spitzen Dornen aufwiesen.
In der Mitte der Jahrhundertpflanze war etwas wirklich Faszinierendes zu erkennen – eine weitere Pflanze mit geraden Stengeln, die mit vielen kleinen runden, hellen Blättern bewachsen waren, die im Licht der Sonne wie Goldmünzen glänzten. »Ooooh, wie schön!« rief Ivy. »Davon will ich eine!«
Sie versuchte, an die Münzenpflanze heranzukommen, doch die Dornen der Jahrhundertpflanze waren ihr im Weg. Sie waren sehr kräftig, so daß sie sie nicht einfach beiseite biegen konnte. Stanley war ihr behilflich, indem er jeden Dorn andampfte, bis er weich und geschmeidig war und Ivy an ihm vorbeikam. Doch das ging sehr langsam, weil es sehr viele Dornen waren. Stanley mußte immer bei ihr bleiben, weil die Dornen sofort wieder hart wurden, sobald sie beiden sich an ihnen vorbeigeschlichen hatten. Stanley versuchte, ein Blatt abzukauen, aber dessen Säfte glichen dem eines Zombie, und so hörte er schnell wieder auf, bevor ihm schlecht wurde. So schlängelten und krabbelten sie voran durch das dichte Laubwerk, wobei Stanley sehr viel Dampf von sich gab, bis sie schließlich am Ziel angekommen waren.
Ivy griff nach einer Münze, ein unschuldiges Lächeln des Entzückens auf ihren Gesichtszügen. Doch kaum hatten ihre kleinen Finger das goldene Blatt berührt, als die Pflanze einen Lichtblitz von sich gab, der Mädchen und Drachen in ein gespenstisches Licht hüllte. Es war ein Leuchten, wie Ivys Mutter es in ihrer Vision geschaut, aber nicht verstanden hatte, weil es eben nur ein unwichtiger Bestandteil der Vision gewesen war.
Die beiden erstarrten auf der Stelle, wurden zu lebenden Statuen, bewegten sich nicht mehr und hörten auf zu atmen.
Sie waren einer der unspektakulärsten, aber mächtigsten Pflanzen Xanths zum Opfer gefallen, die alles beherrschte und fast jedes lebende Wesen zu Fall brachte: dem Zeitian.
6
Xanthippe
Am Morgen hatte sich der Sturm verzogen, hatte sich aber so gründlich an Irene gerächt, daß sämtliche Spuren verschwunden waren. Die ganze Vegetation war so mitgenommen, daß sie sich an nichts mehr erinnern konnte, was am Tag zuvor geschehen war. Die Spur war also durch und durch kalt und feucht.
Darüber hinaus war die Sonne recht lax und durchdrang die Wolkenschichten nur sehr schwach, so daß Irene
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