Drachen-Mädchen
Weile. »Sie hat sich vor etwa fünfzehn Jahren das Leben genommen, weil ihre wahre Liebe unwahr war. Ihre Eltern haben ihren Leichnam zum Zombiemeister gebracht, und der hat sie wiederbelebt. Seitdem dient sie ihm.«
»Ja, aber wie können wir ihr helfen?« wollte Irene wissen. »Irgend etwas müssen wir doch für sie tun können!«
Der Golem stellte Zora weitere Fragen. »Das einzige, was Wesen ihrer Art dem Leben näher bringt, ist die Liebe«, dolmetschte er. »Irgendein lebendiger Mann muß sie wahrhaft lieben, um das Böse wiedergutzumachen, welches ihr der Mann angetan hat, der sie nicht geliebt hat. Dann würde sie beinahe menschlich sein, solange seine Liebe vorhält.«
Chem stieß einen Pfiff aus. »Das ist schwierig! Niemand liebt Zombies. Die meisten Männer ziehen junge und, äh, ganze Frauen vor.«
»Ja, ich weiß«, meinte Irene. »Das war ich auch mal. Und dann habe ich geheiratet.« Sie lächelte. »Na schön, dann müssen wir versuchen, Zora Zombie irgendwie zu helfen. Sie hat es jedenfalls verdient!«
Irene legte dem Zombiemädchen die Hand auf die knochige Schulter, diesmal ohne sich zu ekeln, und half ihr beim Aufrichten. Schon bald hatte sich Zora so weit erholt, wie das für einen Zombie möglich war, stand auf und stolperte auf ganz normale Weise umher. Sie trat hinaus in den Regen, wo sie sich anscheinend am wenigsten unwohl fühlte.
»Wenn ich irgend etwas für dich tun kann…« rief Irene ihr nach.
»Ich glaube, das habt Ihr bereits«, murmelte Chem.
»Was habe ich?«
»Etwas für sie getan, indem Ihr ihr etwas menschliche Wärme entgegengebracht habt. Deshalb ist sie auch so schnell wieder auf den Beinen. Und wenn diese Behandlung fortgesetzt wird, wird es mit ihr vielleicht noch besser.«
Irene war bestürzt, als sie daran dachte, mit wieviel Verachtung sie die Zombies immer behandelt hatte. Ob das jemals wiedergutzumachen war?
Nun ja, das würde sie wohl noch erfahren.
»Ich schätze, wir sollten jetzt mal schlafen«, sagte sie. »Im Augenblick können wir sowieso nichts unternehmen, und hier sind wir wahrscheinlich auch nicht unsicherer als anderswo.«
5
Zeitian
Der kleine Spaltendrache besaß nur einen Bruchteil seiner Erwachsenengröße und war kaum dreimal zu groß wie Ivy. Doch davon abgesehen war er ein richtiger Drache mit sechs Beinen, einem sehnigen Schwanz, einem Flügelpaar, das zu klein zum Fliegen war, und einem furchteinflößenden Kopf voller Zähne. Seine Schuppen waren metallisch, von recht hübschem, schillerndem Grün, und seine Schwanzspitze war scharf und spitz wie ein Messer.
Der Drache beäugte Ivy sabbernd. Er stieß einen Strahl aus reinem, sauberem weißem Dampf aus. Größere Lebewesen waren für den Drachen nun leider keine realistische Beute mehr, aber Ivy war klein und lecker. Er freute sich schon auf diesen Happen.
Ivy blickte dem Drachen ins aufgesperrte Maul. In kindlicher Freude klatschte sie in die Hände. »Schön!« rief sie entzückt. »Ein Spielgefährte!«
Der Drache stutzte. Seine Erinnerung an sein Erwachsenenleben war zwar ausgelöscht worden, doch sein ohnehin weitaus wichtigerer Instinkt sagte ihm, daß dies eigentlich nicht der rechte Empfang war, wie man ihn von einem einsamen Menschenwesen gleich welcher Größe hätte erwarten dürfen. Wie sollte er darauf reagieren?
Ivy schritt furchtlos auf ihn zu. »Mein eigener kleiner Hausdrache!« rief sie. »Und so schön grün, wie Mammis Haare! Ein Freund und Begleiter, der mich immer beschützt, wenn ich mal Angst habe.« Sie tätschelte die häßliche Schnauze. »Was für ein hübsches Wesen!«
Der Drache war alles andere als beruhigt. Genaugenommen sah er sich vor ein furchtbares Dilemma gestellt: Sollte er jagen, fliehen oder kämpfen? Keines der Signale paßte in die ihm vertrauten Muster. Nie hatte ihn jemand hübsch genannt oder seine Schnauze getätschelt. Also verharrte er reglos und unternahm vorläufig nichts. Nervös stieß er etwas Dampf aus.
»Schöner Dampf!« meinte Ivy. »Du bist ein richtiger Dampfer! Ich werde dich Stanley nennen.« Dann wiederholte sie: »Stanley Dampfer. Du bist einfach wunderbar!«
Ivy gab sich einem schlichten, aber subtilen Prozeß der Identifikation und der Übertragung hin. Zunächst einmal war sie ein Geschöpf der Liebe, denn in ihrer Familie hatte die Liebe stets vorgeherrscht, so daß sie natürlich auch dasselbe ausstrahlte. Ferner wußte sie, wie Männer Frauen behandelten, weil sie dies bei ihrem Vater und ihrer Mutter
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