Drachen-Mädchen
daß es das Pferdegeschöpf war.
Nun war die Gruppe bei ihnen eingetroffen. »Sitz ab, Xavier«, sage Xanthippe. »Ich möchte dir eine Frau vorstellen.«
»Och, Mami«, sagte der Mann. »Xap und ich wollten doch gerade eine Runde fliegen!«
»Du undankbarer gelbbäuchiger Tropf!« kreischte die Hexe mit einem plötzliche Zorn, der Irene um so mehr erstaunte, als er in scharfem Kontrast zu ihrem bisherigen Verhalten stand. »Steig gefälligst ab!«
Xavier, ganz der gehorsame Sohn, zog eine Grimasse und saß ab. Er schien Mitte Zwanzig zu sein, und seine bronzenen Muskeln traten kräftig hervor. Irene war insgeheim erstaunt, daß eine so häßliche Frau wie Xanthippe einen derart prachtvollen Sohn wie Xavier hervorgebracht hatte. Das mußte aber ein Prachtkerl von einem Mann gewesen sein, den sie sich da als Vater geangelt hatte! Aber wieso auch nicht? Sie konnte sich ja die Besten aussuchen. Was menschliches Fleisch anging, hatte die Hexe offenbar einen ausgezeichneten Geschmack. Dieser Gedanke ließ Irene erröten, denn schließlich hatte die Hexe ja auch sie ausgesucht, um – egal.
»Siehst du diese Frau da?« fragte Xanthippe und zeigte auf Irene. »Gefällt sie dir?«
Xavier würdigte Irene kaum eines Blickes. »Na klar, Mama«, meinte er. »Wenn sie diese Handtücher nicht anhätte, wäre sie richtig hübsch. Kann ich jetzt fliegen gehen?«
»Noch nicht, mein Sohn. Schau dir mal ihren Körper an. Prächtige Beine, prächtiger Vorbau, prächtiges Gesicht. Ist doch wirklich was Feines, oder?«
»Klar, Mami, wenn man den Typ mag. Kann ich jetzt…?«
»Halt’s Maul, du Trottel!« schrie die Hexe ihn an, und der kräftige Jüngling wirkte eingeschüchtert.
»Hast du aber eine spitze Zunge, Oma!« rief Grundy aus seinem Käfig.
»Ich kann sie dazu zwingen, die Handtücher abzunehmen, damit du sehen kannst, wie…« fuhr Xanthippe in ihrem vernünftigen Tonfall fort.
»Och, nö, Mami, ist doch viel zu viel Mühe. Ich und Xap wollten doch gerade…«
»Ich glaube, sie wäre dir eine gute Ehefrau«, sagte die Hexe mit Entschiedenheit zu ihrem Sohn.
»Och, Mami, ich will doch gar keine Frau! Ich will nur fliegen.« Xavier drehte sich wieder zu seinem Reittier um und wollte aufsteigen. Irene war unschlüssig, ob sie erleichtert oder entrüstet sein sollte, weil der Jüngling sich so offensichtlich nicht für sie interessierte. So alt war sie ja nun auch wieder nicht!
»Erstarre, du erbsenhirniges Scheusal!« schrillte Xanthippe, und Xavier erstarrte prompt. »Du wirst diese Frau heiraten, diese, wie heißt sie doch gleich…«
»Irene, du alte Glucke!« rief Grundy ihr hilfsbereit zu.
»Halt’s Maul, du erbsenhirniges Scheusal!« fauchte Irene ihn voller halbvollkommener Wut an.
»Diese Frau Irene«, fuhr die Hexe fort. »Das ist eine gute Partie für dich. Sie ist eine Pflanzenzauberin, hat Temperament und ist gebärfähig.«
»Och, Mami, ich verstehe doch nichts davon…«
»Du brauchst auch nichts zu verstehen! Diese Frau hat Erfahrung. Ich gebe ihr nur einen Befehl, dann erledigt sie den Rest schon von allein. Du wirst sehen, es ist ganz leicht, ja sogar angenehm. Danach kannst du dann fliegen gehen.«
Abgesehen von dem Schrecken, den diese Situation in sich barg, mußte Irene über die Naivität des jungen Mannes staunen. Wußte er wirklich so wenig über die Tatsachen des Lebens? Doch dann erinnerte sie sich, daß Dor zu Anfang fast genauso unschuldig gewesen war. Männer wußten nur selten so viel über das Leben, wie sie meinten. Vielleicht war Xavier sich seiner Unwissenheit lediglich mehr bewußt als andere.
»Och, Mami, ich will aber jetzt fliegen!« protestierte er. »Kann das nicht warten, bis wir mal einen Regentag haben oder so was?«
Regentag! Irene biß sich auf die Zunge. Das würde noch fehlen, daß die unversöhnliche Wolke sie wieder auskundschaftete und diesen Tag Wirklichkeit werden ließ!
Die Hexe sah sich vor ein Problem gestellt. Offensichtlich wollte sie nicht zu hart mit ihrem attraktiven Sohn umspringen oder ihn auch nicht allzu abrupt in die Tatsachen des Lebens einweihen. Irene bemerkte, daß Xanthippe ihre magische Kraft nicht gegen Xavier einsetzte, sondern sich statt dessen auf ihre Überredungsgabe verließ. Sie schien wirklich etwas für ihn zu empfinden und wollte für ihn nur, was sie für das beste hielt. Das war zwar keine Entschuldigung für ihre Gefühllosigkeit gegenüber anderen, aber es zeigte doch immerhin, daß sie nicht durch und durch schlecht
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