Drachen-Mädchen
konnte.« Gloria warf Stanley einen schrägen Blick zu. »Ist das wirklich der Spaltendrache? Er ist so klein!«
»Ja«, erwiderte Hugo. »Ich habe Jugendwasser über ihn gegossen, und so ist er ein Babydrache geworden. Er ist jetzt unser Freund. Schätze, auch Monster sind als Babys netter.«
»Das muß wohl stimmen«, pflichtete Gloria ihm bei. »Mein Volk hat schon immer einige Vorbehalte gegen euch Menschen gehegt, aber ihr Kinder scheint sehr nett zu sein.« Sie kaute ein wenig mehr Obst.
»Wahrscheinlich ist jeder nett, wenn man ihn erst einmal kennt«, meinte Ivy. »Ich mag eigentlich jeden, dem ich begegne, bis auf bestimmte Wolken vielleicht.«
»Manche Wolken können wirklich sehr lästig sein«, sagte Gloria. »Vor allem jene, die meine Frisur ruinieren. Du bist wohl in einer sehr liebevollen Familie aufgewachsen?«
»Ist das nicht immer so?«
Wieder lächelte das Koboldmädchen traurig. »Ach, nein, leider. Mein Vater ist häßlich und heimtückisch, wie die meisten Koboldmänner, und meine Mutter hat immer Angst vor ihm gehabt. Ach, ich will nicht behaupten, daß Kotbold ein schlechter Kerl ist, immerhin ist er ja mein Vater. Es ist nur die Art, wie er sich gibt. Wißt ihr, wir Koboldmädchen mögen zwar gutaussehende und sanfte Männer, aber die sind keine guten Kämpfer, weshalb sie in unserem Gebiet auch nicht so leicht überleben. Kotbold ist Häuptling geworden, weil er gewalttätig, skrupellos und zäher als andere Koboldmänner ist. Er hat immer gut für uns gesorgt, aber er versteht eben nichts von Liebe. Als meine ältere Schwester Goldy volljährig wurde, hat Kotbold eine Gruppe von Wesen dazu gezwungen, sie zu den Nordstämmen zu bringen, damit Goldy sich dort einen Mann einfangen konnte.«
»Aber hübsche Mädchen brauchen sich doch keine Männer einzufangen!« protestierte Ivy. »Nicht, wenn sie so hübsch sind wie du.«
»Im Koboldland doch, leider. Das gefällt mir auch nicht darin. Und Goldy ist nicht so schön wie ich, weshalb es für sie noch schwieriger war. Immerhin haben wir dann später erfahren, daß Goldy ein Koboldhäuptling ins Netz gegangen ist und sie einigermaßen zufrieden war. So geht das bei den meisten Kobolden, aber ich bin dafür zu romantisch veranlagt, mehr als mir guttut. Meine Schwester ist zäh, die kann immer tun, was nötig ist. Ich nicht, ich lebe von der Phantasie. Na, und als ich schließlich an der Reihe war, zu heiraten…« Sie unterbrach sich und schnitt eine Grimasse. »Ich habe mich in einen Mann verliebt, der meinen Idealen mehr entsprach.«
»In den Harpyienmann«, sagte Hugo und stellte damit seine Intelligenz unter Beweis.
»Hardy Harpyie«, sagte sie. »Eines Abends saß ich am Rande der Spalte, baumelte mit den Beinen und dachte so meine närrischen Gedanken, als plötzlich ein Vogel unter mir dahinflog. Nur daß es eben kein Vogel war, sondern eine Harpyie. Da habe ich Angst gekriegt, weil diese Harpyienhennen wirklich das schändlichste Mundwerk haben, das man sich nur vorstellen kann. Also griff ich nach meinem Messer, für den Fall, daß sie mich angriff, und machte mich bereit, zu schreien. Ich habe auch mein Kleid gerafft, um besser davonlaufen zu können. Aber dieses Wesen war anders, und es roch auch nicht so streng und eklig. So blieb ich etwas länger dort, als ich es hätte tun sollen, und merkte, daß es sich um einen jungen, sauberen Harpyienhahn handelte. Ich hatte noch nie eine männliche Harpyie gesehen. Sie sind noch immer sehr selten und mischen sich nicht oft unter andere Wesen. Ich war so erstaunt, daß ich einfach nur abwartend stehenblieb, das Kleid hochgerafft.«
Sie führte es ihnen vor. Ihre Beine waren erstaunlich wohlgeformt. »Da ist er gekommen, hat sich neben mich gesetzt und gesagt, daß ich wunderschöne Beine hätte, und da bin ich natürlich nicht mehr davongelaufen.«
»Aber hatte er denn keine Vogelbeine?« fragte Ivy.
»Ja, natürlich. Aber Männer brauchen keine schönen Beine zu haben. Er hatte so schöne Flügel und ein gutaussehendes Gesicht und einen männlichen Brustkorb. Und er sprach mit solcher Sanftmut und Intelligenz…« Sie zuckte mit den Schultern. »Danach haben wir uns oft getroffen und schließlich haben wir uns ineinander verliebt. Ach ja, ich wußte natürlich, daß das nicht recht war, weil Kobolde und Harpyien doch miteinander im Kriegszustand leben, und der Krieg war vor Jahrhunderten genau wegen solcher Verbindungen ausgebrochen. Aber wir paßten einfach so gut zueinander,
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