Drachenauge
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während er auf dem heißen Sand von einem Fuß auf
den anderen trat.
Zulaya schlug vor, sie alle sollten die Brutstätte verlassen. Trotz der zusätzlichen Sohlen, die sie in ihre Stiefel gelegt hatte, fand sie die vom Boden ausströmende Hitze unerträglich, und Tashvi trug nur leichte Schuhe.
»Dabei ist Debera nicht seine einzige Tochter«, erzählte Salda, die sich bei ihrem Mann einhakte, um ihn zu einer schnelleren Gangart zu bewegen. »Mit zwei Frauen hat er über ein Dutzend Kinder gezeugt. Wenn er sie alle so vorteilhaft verheiratet, gehört seiner Sippschaft bald so viel Grundbesitz, dass er seine eigene Festung gründen kann. Bloß dass keiner, der recht bei Trost ist, ihn als Burgherrn akzeptieren würde.«
Vor der Brutkaverne blieben sie stehen. Zulaya und
K'vin stellten sich so hin, dass sie ein wachsames Auge auf die Jungdrachen hielten, die gierig die vorbereiteten Fleischbrocken verschlangen, mit denen ihre Reiter sie zum ersten Mal fütterten.
Debera befand sich in einer höchst ungewöhnlichen
Situation. Die meisten Familien freuten sich, wenn ein Kind für eine Gegenüberstellung ausgesucht wurde, denn einen Drachenreiter in der Verwandtschaft zu haben, war mit etlichen Vorteilen verbunden. Die Kontakte zum Weyr galten nicht nur als Statussymbol, man hatte notfalls auch die Möglichkeit, einen Drachen für Transporte zu benutzen.
Die gehässigen Vorwürfe, mit denen Lavel die Zustände in den Weyrn herabwürdigte, empörten sowohl die Weyrführer als auch die Burgherren. Gewiss, bei den Drachenreitern hatten sich bestimmte Sitten und Gebräuche eingebürgert, die mit den Eigenheiten und Bedürfnissen der Drachen zusammenhingen, doch Pro-miskuität wurde keineswegs gefördert.
Im Gegenteil, im Weyr herrschte ein strenger Verhal-tenscodex. Es gab keine formellen Bündnisse, aber kein Reiter ließ seine Partnerin im Stich oder drückte sich 96
davor, für die Kinder zu sorgen, die aus dieser Liaison entstanden. Und nur wenige junge Leute, die im Weyr geboren waren, kehrten in die Burgen ihrer Großeltern zurück, auch wenn sie keinen Drachen für sich gewinnen konnten.
Inzwischen hatte in der Hauptkaverne das Fest begonnen. Die Musiker spielten eine fröhliche Weise, die den Triumph einer erfolgreichen Brutsaison interpretie-ren sollte. Obschon die neuen Reiter immer noch dabei waren, ihre Drachen zu füttern oder sich in der Weyrling-Kaserne häuslich einzurichten, würden sie sich ihren feiernden Familien anschließen, sowie die gesät-tigten Jungtiere schliefen.
Zulaya überlegte, ob sie Lavel darauf hinweisen soll-te, dass die Reiterinnen von ihren männlichen Gefährten getrennt wohnten. Offensichtlich hatte Deberas Vater nicht die geringste Ahnung, wie viel Fürsoge ein junger Drache von seinem menschlichen Partner verlangte. An den meisten Abenden fielen die Weyrlinge todmüde ins Bett und hatten nichts weiter im Sinn als ihre wohlverdiente Nachtruhe. Des Morgens mussten sie oftmals von dem Weyrling-Meister aus den Betten gescheucht werden, wenn sie zu müde waren, um durch das fordernde Geschrei der hungrigen Drachen
geweckt zu werden.
Ganmar, der jugendliche Bewerber um Deberas
Hand, blickte mürrisch drein; er fühlte sich sichtlich un-wohl in der gegenwärtigen Situation. Zulaya glaubte nicht, dass er an gebrochenem Herzen litt, weil er seine Auserwählte nicht bekommen hatte. Obwohl ein junges Mädchen in seinem Bett gewiss ein angenehmer Aus-gleich war, wenn er schon gemeinsam mit seinem Vater bei der Errichtung einer neuen Ansiedlung mitwirken musste.
»Ich möchte zu gern wissen«, bemerkte Salda, »wieso Debera allein hier eintraf und buchstäblich im allerletz-ten Augenblick. Für mich steht fest, dass ihr sie verfolgt 97
habt, um sie von ihrem Vorhaben abzubringen. Sie sind sich doch wohl darüber im Klaren«, fuhr sie fort, wobei sie den strengen Gesichtsausdruck aufsetzte, den Zulaya so gut an ihr kannte, »dass wir – Lord Tashvi und ich – kein Verständnis dafür hätten, sollte man Debera ihre Rechte als Burgbewohnerin vorenthalten.«
»Burgbewohnerin?«, schnaubte Lavel und zuckte zusammen, als die ruckhafte Bewegung ihm Schmerzen verursachte. »Sie gehört nicht mehr in die Festung, oder? Wir haben sie für immer an den Weyr verloren, ist es nicht so?«
»Und obendrein das Land, das ihr ansonsten von
Rechts wegen zustünde«, ergänzte Salda schnippisch.
Mit einem knurrenden Laut wandte sich Lavel von der Burgherrin ab. »Sie haben
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