Drachenauge
Maranis kein Geräusch mehr in Ihrer Lunge
hört«, erwiderte sie in ihrem resoluten Tonfall. Dann reichte sie ihm den Skizzenblock und die Bleistifte, die Waine ihm an seinem ersten Abend im Weyr geschenkt hatte. »Fangen Sie wieder an zu zeichnen. Bei dieser Beschäftigung überanstrengen Sie sich wenigstens nicht.«
Es tat gut, wieder mit Bleistift und Papier umzugehen. Zu gern trieb er sich in den unteren Kavernen herum und zeichnete Skizzen, vor allen Dingen dann, wenn sein Modell nicht merkte, dass es gemalt wurde.
Sein Auge hatte nichts von seiner Schärfe verloren, und wenn seine Finger sich hin und wieder verkrampften, dann lag es an der allgemeinen Schwäche, doch er spür-te, wie seine Kräfte allmählich zurückkehrten. Er merk-183
te nicht, wie die Zeit verflog, oder dass sich Leute zum Kiebitzen hinter ihn stellten.
Waine beschaffte ihm Mörser und Stößel, außerdem
Öl, Eier und Kobalt, um ein herrliches Blau zu mischen.
Der Mann hatte ein paar Techniken für die Farbenproduktion gelernt und hier und da einige nützliche Tricks aufgeschnappt. Doch das war kein Ersatz für die gründliche Ausbildung, die Iantine genossen hatte. Anfangs hatte er diesen Drill gehasst, doch nun sah er ein, wie wichtig es war, wenn man etwas von der Pike auf lernte.
Der Winter überzog das Land, doch an dem ersten
sonnigen Tag bestand Tisha darauf, dass er, warm in Pelze eingehüllt, draußen im Weyrkessel saß, um frische Luft zu schöpfen. Da gerade Badezeit für die jungen Drachen war, konnte Iantine sich nicht satt sehen an ihren Kapriolen und begriff allmählich, welcher Aufwand nötig war, um die Tiere großzuziehen.
Zum ersten Mal in seinem Leben erhielt er die Gelegenheit, Jungdrachen zu beobachten. Die Anmut und Kraft der ausgewachsenen Tiere sowie ihr Furcht ein-flößendes Erscheinungsbild waren ihm bekannt. Nun hingegen bekam er mit, wie schalkhaft, übermütig und phantasievoll die Jungen sich gebärdeten. Mitunter wurden sie sogar frech, wenn sie ihre Reiter aus lauter Mutwillen in den See schubsten. Aus dem letzten Gelege konnte noch kein Tier fliegen, doch einige des Jahr-gangs davor begannen bereits mit ihrer Ausbildung.
Aus allernächster Nähe durfte er ihre tollpatschigen Flugversuche verfolgen.
Anderntags entdeckte er P'tero und seinen blauen
Ormonth im Mittelpunkt irgendeinen Unterrichts. Als er hinüberschlenderte, erkannte er, dass nicht nur die Weyrlinge der drei jüngsten Gelege anwesend waren, sondern sämtliche Jugendliche über zwölf. Ormonth
streckte eine Schwinge aus und starrte wie entrückt darauf, als hätte er sie noch nie zuvor gesehen. Die Mimik 184
war so köstlich, dass der Künstler in Iantine nicht widerstehen konnte. Rasch klappte er seinen Malblock auf und hielt die Szene fest. P'tero bemerkte es, doch die Klasse konzentrierte sich ausschließlich auf T'dams Vortrag. Nach und nach drangen dessen Worte zu Iantine durch.
»… in den Berichten steht, dass die schlimmsten Verletzungen an den Schwingenrändern entstehen, besonders dann, wenn die Fäden in Klumpen fallen und man ihnen nicht schnell genug ausweichen kann. Ein Drache kann selbst dann noch fliegen, wenn ein Drittel der äußeren Membran zerstört ist …«
Hier fuhr T'dam mit der Hand über die Kante von
Ormonths Schwinge. »Allerdings …« T'dam blickte zu
Ormonth hoch. »Würdest du bitte so gut sein, den Flü-
gel ein wenig anzuwinkeln, Ormonth?« Der Blaue gehorchte. »Danke …« T'dam musste sich auf die Zehen-spitzen stellen, um einen bestimmten Bereich am Flügel zu berühren. »Verletzungen, die dicht am Körper erfolgen, sind viel schwerwiegender, da die Fäden sich je nach ihrem Aufprallwinkel durch die Membran in den Rumpf brennen können. An dieser Stelle«, er duckte sich unter den Flügel und klopfte gegen die Flanke des Tieres, »sitzt die Lunge, und hier kann eine Verwundung sogar tödlich sein.«
Die im Halbkreis aufgestellten Schüler stießen erschrocken den Atem aus.
»Deshalb darf während eines Einsatzes eure Aufmerksamkeit nicht einen Augenblick lang nachlassen.
Geht ins Dazwischen , sowie ihr den leisesten Verdacht habt, ihr könntet getroffen worden sein.«
»Und wie merken wir, dass etwas nicht stimmt?«, erkundigte sich jemand.
»Ha!« T'dam stemmte seine Fäuste auf den derben
Ledergürtel und legte eine Kunstpause ein. »Drachen besitzen ungeheuren Mut, vor allem, wenn man bedenkt, was wir von ihnen verlangen. Aber …« – abbit-185
tend streichelte
Weitere Kostenlose Bücher