Drachenblut
einen Rausch gehabt haben, weil sie die Symptome erkannte.
Sie ging zum College zurück, wobei sie Acht gab, nicht über die eigenen FüÃe zu stolpern. Dann blickte sie über die Schulter noch einmal zum Turm, weil sie sich vergegenwärtigte, dass es nicht Tierans Stimme gewesen war, die ihr geantwortet hatte. Wo steckte der Bursche? Sie hatte ihn schon seit einer geraumen Weile nicht gesehen. Emorra schürzte die Lippen und fragte sich, wieso sie sich eigentlich so viele Gedanken um Tieran machte.
Die Leute, die im Hof des Colleges gefeiert hatten, waren mittlerweile auseinander gegangen. Einige begaben sich in ihre Quartiere, manche tranken in einer ruhigen Atmosphäre weiter. Emorra erschrak, als sie plötzlich Tierans Stimme hörte. Er befand sich in einem der Klassenzimmer. Einem Impuls nachgebend, steuerte sie darauf zu.
Jählings hielt sie inne, als sie eine Frau antworten hörte. Vielleicht sollte ich die beiden allein lassen, dachte sie mit einem unverhofften Anflug von Traurigkeit. Die Frau redete weiter, schlug einen leidenschaftlichen Tonfall an. In diesem Moment erkannte Emorra die Sprecherin.
Sie segelte in den Raum und kreischte: »Was denkst du dir dabei? Dem Alter nach könntest du seine GroÃmutter sein!«
Aufgeregt rauschte sie mitten ins Zimmer. Tieran saà an einem der Schülerpulte. Auf seinem Schoà hockte keine Frau. Niemand zwitscherte ihm süÃe Nichtigkeiten ins Ohr.
Stattdessen stand Windblüte vor der Tafel und schrieb mit Kreide genetische Codesequenzen darauf. Emorra dämmerte, welch peinlichen Schnitzer sie begangen hatte; in nüchternem Zustand wäre ihr das nicht passiert, denn sie wusste, wenn Windblüte mit so viel Leidenschaft sprach, redete sie über Genetik.
Tieran und Windblüte erstarrten vor Schreck über Emorras dramatischen Auftritt. Windblüte fasste sich zuerst und bedachte ihre Tochter mit einem eigenartigen, undeutbaren Blick. Tieran schaute verstört drein. Die braune Feuerechse war hochgesprungen und schwebte in der Luft, aber sie ging nicht ins Dazwischen .
»Ich erkläre Tieran gerade die Unterschiede in den genetischen Sequenzen der Drachen und Feuerechsen«, teile Windblüte ihrer Tochter in aller Seelenruhe mit. Nach einer kleinen Pause fügte sie in einem Ton
hinzu, den man vielleicht als leicht sarkastisch hätte bezeichnen können: »Hast du tüchtig das Ende des Vorbeizugs mitgefeiert?«
Emorra nahm sich Zeit mit der Antwort. »Ich bin betrunken«, platzte sie heraus.
»Das dachte ich mir«, versetzte Windblüte frostig.
»Was ist das für ein Gefühl?«, fragte Tieran neugierig. »Ich war noch nie betrunken«, räumte er ein, um hastig hinzuzufügen: »Aber das kann ja noch kommen.«
»Morgen früh wache ich sicher mit fürchterlichen Kopfschmerzen auf«, erwiderte Emorra. Vor Scham war ihr Gesicht immer noch puterrot. Wie hatte sie sich nur dazu hinreiÃen lassen, ihrer Mutter und Tieran etwas Unschickliches zu unterstellen? Emorra haderte mit sich, am liebsten hätte sie die letzten Minuten ungeschehen gemacht. Sie räusperte sich verlegen, und weil ihr nichts Besseres einfiel, erkundigte sie sich mit möglichst normaler Stimme: »Wieso befasst ihr euch mit genetischen Codesequenzen?«
»Wir suchen bei Drachen und Feuerechsen nach gemeinsamen Lücken im Immunsystem«, erläuterte Tieran.
Emorra blinzelte. »Ihr wollt der Infektion auf die Spur kommen?«
»Ich hatte gehofft, wir könnten beweisen, dass die Krankheit der Feuerechsen nicht auf Drachen übertragen werden kann«, erwiderte Tieran.
Emorra legte den Kopf schräg und sah ihn fragend an.
»Wir sind mit unserer Arbeit noch nicht fertig«, mischte sich Windblüte mit vielsagender Betonung ein.
»Der Vorbeizug ist zu Ende â habt ihr nichts Besseres zu tun?«, wunderte sich Emorra. Am liebsten hätte sie sich auf die Zunge gebissen, und sie erinnerte sich, dass Wein die Sinne benebelt und die Reaktionsfähigkeit verlangsamt.
»Was zum Beispiel?«, erkundigte sich Windblüte.
»Nun ja, zum Beispiel ⦠Aber du bist ja viel zu alt !«, entschlüpfte es Emorra. Dann fasste sie sich mit beiden Händen an den Kopf, wirbelte herum und suchte das Weite. AuÃerdem dämpft Alkohol das sexuelle Verlangen, fiel ihr im Nachsatz ein.
Â
»Es war ein Bakterium«, wiederholte Windblüte.
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