Drachenblut
konzentrierte sie ihre Gedanken auf ein Mantra der Eridani, welches dazu diente, den Geist zu schärfen und die Kräfte zu bündeln. Sie hüllte sich in die Dogmen ihrer Ausbildung wie in einen schützenden Mantel.
Als sie sich vom Waschbecken abwandte, hatte man Sorkas Leichnam bereits auf den Operationstisch gehievt. Janir und â sehr zu Windblütes Verblüffung â Emorra, warteten auf sie. Janir stand direkt neben dem OP-Tisch; Emorra hielt sich bescheiden im Hintergrund und machte ihren Status als Beobachterin deutlich.
»Ich kann den Eingriff übernehmen«, erbot sich Janir und deutete auf das Tablett mit den Geräten für die Biopsie, das er bereitgestellt hatte.
Windblüte inspizierte die Instrumente, griff nach der feinsten Sonde und schüttelte den Kopf. »Nein.«
Sie führte die Biopsie am Gehirn durch, und mit Genugtuung vermerkte sie, dass man den Eingriff nur mit einem VergröÃerungsglas hätte erkennen können. Die entnommene Gewebeprobe gab sie an Janir weiter. »Lass das bitte analysieren. Ich interessiere mich für jede Abweichung in der Chemie und der Zellstrukturen, vor allen Dingen suche ich nach Anzeichen für eine geriatrische Degeneration in fortgeschrittenem Zustand.«
Zögernd nahm Janir die Probe in Empfang. »Aber â¦Â«
Windblüte setzte eine gestrenge Miene auf. »Janir, ich bin verpflichtet, ihrem letzten Wunsch nachzukommen.« Emorra blickte von Windblüte zu Janir, doch der Ausgang dieses Kräftemessens stand von vornherein fest â Windblüte siegte. Mit einem angedeuteten Nicken fügte sich Janir und bracht die Gewebeprobe ins Labor.
Dann trat Windblüte an einen der Schränke mit den chirurgischen Instrumenten und nahm ein Standardset von Skalpellen und Wundhaken heraus. Sie verteilte das Set auf dem Operationstablett, auf dem zuvor Janir die Biopsie-Geräte ausgelegt hatte.
Mit einem Skalpell in der Hand begab sie sich an die rechte Seite von Sorkas Kopf. Eine geraume Zeit lang stand sie da, im Begriff, Sorkas Gesicht dieselbe Verletzung zuzufügen, mit der ein Wachwher den jungen Tieran verstümmelt hatte.
Tränen kullerten aus ihren Augen; sie wischte sie nicht ab, sondern
lieà sie die Wangen hinuntertropfen. Ihre Hand verkrampfte sich, und sie schleuderte das Skalpell weit von sich. »Ich kann nicht, ich kann nicht, ich kann nicht! «
Mit langen Schritten eilte Emorra zu ihr. Zuerst blieb sie unsicher stehen, dann legte sie zaghaft eine Hand auf die Schulter ihrer Mutter. Wie erlöst drehte sich Windblüte zu ihrer Tochter um, stieà einen unterdrückten Schrei aus und barg das Gesicht an Emorras Brust.
»Ich bringe es einfach nicht über mich, Emorra. Es geht nicht!«, flüsterte sie verzweifelt. »Ich mache unserer Familie Schande, aber ich kann es nicht tun.«
Emorra tätschelte ihre Mutter zärtlich, so wie sie selbst niemals von Windblüte liebkost worden war. Und in einer plötzlichen Eingebung, die sie gelinde erschreckte, vergegenwärtigte sie sich, dass Windblütes Mutter, Kitti Ping, ihre Tochter auch nie geherzt oder mit ihr geschmust hatte.
»Beruhige dich, Mutter, es ist ja gut. Natürlich kannst du dich nicht überwinden«, flüsterte sie, während die Worte wie von selbst über ihre Lippen kamen. Emorra merkte, dass sie nicht nur ihre Mutter tröstete, sondern gleichzeitig sich selbst Mut zusprach.
Windblüte rückte von Emorra ab und schaute ihrer Tochter in die Augen. »Aber es war ihr letzter Wunsch.«
»Du sagst es, Mutter â es war ein Wunsch !«, entgegnete Emorra. »Sorka wollte dir etwas von deiner Bürde abnehmen, und nicht etwa deine Sorgen vergröÃern. Unter diesem Aspekt musst du ihre Worte interpretieren â¦Â«
Lärmendes Getrommel unterbrach sie â ein dröhnendes, schnelles Stakkato.
Windblüte löste sich aus der Umarmung und lauschte mit gespannter Aufmerksamkeit.
Notfall! Notfall! Notfall! Die Regeln waren simpel und deutlich â jede Wiederholung eines Notrufs seine Dringlichkeit. Ein viertes Signal, und der Trommler berichtete von einer planetenweiten Katastrophe.
Notfall! Medizinischer Alarm! Windblume  â für das Wort »Blüte« gab es keinen Code â bitte sofort kommen. Medizinkoffer mitbringen!
»Das ist Tieran«, erklärte Emorra.
In diesem Moment kam Janir angerannt. »Was
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