Drachenblut
Korb voller Obst für Windblüte, eine Aufmerksamkeit der Weyrherrin. Dankbar nahm Windblüte vor der Tür zu Sorkas Quartier Platz und knabberte ein bisschen an den Früchten.
Im Verlauf der nächsten halben Stunde verlieÃen Sorkas Kinder das Sterbezimmer, entweder einzeln oder zu zweit.
Als Torene herauskam, richtete Windblüte ihr Naras Bitte aus. Torene warf einen Blick zurück in den Raum, in dem sich immer noch Mâhall aufhielt.
»Ich gebe ihm noch ein paar Minuten«, meinte sie. »Zuerst gehe ich hinunter in die Küche und esse einen Happen zu Mittag â¦Â« Dann vergegenwärtigte sie sich, dass immer noch das dämmrige Licht des frühen Morgens herrschte, und ihr fiel ein, dass Benden der Festung Fort sechs Zeitzonen voraus war. »Ãh ⦠zum Frühstück«, verbesserte sie sich.
Windblüte wartete drauÃen, bis sie in Sorkas Quartier Mâhalls Stimme hörte. In ihrem übermüdeten Zustand glaubte sie, er habe vielleicht nach ihr gerufen, und sie trat ins Zimmer. Abrupt blieb sie stehen.
Mâhall stand am Bett seiner Mutter und hielt die Hand der Toten. Aus seinen Augen perlten Tränen und tropften auf das Bett.
»Was soll ich tun, Ma?«, wiederholte er immerzu.
Windblüte erkannte in dem erwachsenen Mann den kleinen Jungen, der nicht wusste, wie er den Tod der Mutter â des letzten noch verbliebenen Elternteils â verkraften sollte.
Sie wusste, dass Mâhall sich sehr deutlich vergegenwärtigte, dass es nun keine höhere Instanz, keine Autorität mehr gab, an die er sich wenden konnte, sei es um Rat zu holen, um sich anzuvertrauen, um gelobt zu werden oder einfach zu fragen: »Hast du mich lieb?«, ohne die Antwort fürchten zu müssen.
Beim Klang von Windblütes Schritten drehte sich Mâhall um. Windblüte neigte den Kopf, weil sie Mâhalls Blicken nicht begegnen wollte.
»Was â¦Â« Mâhall schluckte und fuhr mit kräftigerer Stimme fort: »Was hast du getan?« Er brauchte nicht hinzuzufügen »als deine Mutter starb.«
Windblüte dachte über die Frage nach. Dann hob sie den Kopf und antwortete wahrheitsgemäÃ: »Meine Mutter hat mich niemals geliebt. Als sie starb, war es meine Pflicht, ihre Schmach auf mich zu nehmen, und es war ihr eine Genugtuung, diese Entehrung auf mich zu übertragen.«
Windblüte deutete mit einer Geste auf Sorka. »Deine Mutter zeigte mir, was Liebe ist. Für mich war dies ein Gefühl, als wäre meine Seele eine Wüste, über die plötzlich ein erfrischender Regen niedergeht. Emotional war ich verhungert.« Ihre Stimme nahm einen harten, bitteren Klang an. »Meiner Mutter war ich nie gut genug. Für sie war und blieb ich eine Enttäuschung.«
Mâhall wischte sich über die Augen. »Mutter war eine groÃartige Frau.«
»Ja, das war sie.«
»Für diese Welt gab sie alles.« Mâhall blickte auf den leblosen Körper hinab. »Ich glaube, dass ich jetzt ihren letzten Wunsch verstehe.«
Windblüte seufzte. »Am liebsten würde ich sie unversehrt lassen und sie so in Erinnerung behalten, wie sie zu Lebzeiten war.«
Mâhall fasste sie scharf ins Auge. »Windblüte, wirst du den letzten Wunsch meiner Mutter erfüllen?«
»Mâhall, ich möchte es nicht tun.«
»Mein Vater hat mir beigebracht, dass man jeder Frau Respekt zollen soll, vor allen Dingen der eigenen Mutter. Ich muss das in die Wege leiten, was sie als ihr Vermächtnis an den Planeten und an die Kolonie betrachtet.«
DrauÃen auf dem Gang hallten Schritte, und dann hörten sie Torenes Stimme: »Mâhall, ist alles in Ordnung?«
»Ja«, rief Mâhall zurück.
Torene, Dâmal und Nara traten ein. Windblüte rückte näher an Mâhall heran, um Platz für die Neuankömmlinge zu machen.
»Wir möchten ihr unsere letzte Ehre erweisen«, erklärte Dâmal.
»Deiner Mutter habe ich viel zu verdanken«, fügte Nara hinzu. »Ich habe eine Menge von ihr gelernt, und sie hat mich immer behandelt, als wäre ich ihr eigenes Kind.«
Windblüte spürte, wie Mâhall bei diesen Worten innerlich zusammenzuckte; Naras gut gemeinte Bemerkung verstärkte nur seinen Kummer über den Verlust.
Mit einem fragenden Blick auf Mâhall näherte sich Nara dem Bett, beugte sich über Sorka und hauchte
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