Drachenblut
Artikel waren rar, vor allem weil Gott die meisten Ereignisse, von denen heute in reißerischer Aufmachung zu lesen war, persönlich initiiert hatte und somit um deren Geschehen schon seit gestern wusste.
HERZKRANKER RENTNER GEWINNT 30 MILLIONEN: TOT.
Wie man es machte, war es auch wieder nicht recht, dachte Gott bei sich, faltete die Zeitung zusammen und legte sie erst einmal beiseite. Vielleicht fand er heute Abend noch Zeit für das Horoskop und das Kreuzworträtsel.
Gott wohnte in einem gediegen eingerichteten Bungalow in besserer Lage. Von außen gab das Gemäuer nicht viel her, was aber durchaus beabsichtigt war, da er unnötige Publizität vermeiden wollte. Das Anwesen lag etwas außerhalb der Stadt auf einer Anhöhe, so dass man von dort oben einen guten Blick auf das Leben unten im Tal hatte. Ein großzügiger Garten umgab das Haus, hohe Hecken und eine alte Mauer aus roten Ziegelsteinen schützten vor neugierigen Blicken. Die Inneneinrichtung des Bungalows bestach durch dezente Eleganz. Das Design der Möbel war nicht aufdringlich und ließ den guten Geschmack des Besitzers erkennen. Den Kern des Anwesens bildete das Medienzentrum, ein mit hochsensibler Elektronik ausgestatteter Raum, in dem Gott die Gebete der Menschen zu empfangen pflegte und über die kleinen und großen Sünden auf dem Laufenden gehalten wurde. Auf dem Dach des Bungalows waren Hunderte von Antennen installiert, die ihre eisernen Fühler neugierig in alle Himmelsrichtungen ausstreckten. Jedes auch noch so flüchtige und kleine Signal wurde registriert, Gott blieb nichts verborgen.
Die Behörde hatte zunächst gewaltig Ärger gemacht. Das Genehmigungsverfahren zur Errichtung einer fernmeldetechnischen Anlage war kompliziert und langwierig, und niemand wusste so recht, was von der Sache zu halten war. Ein wahres Wunder, dass der zuständige Sachbearbeiter schließlich seinen Segen zu der Anlage gegeben hatte. Er hatte es letztendlich aber wohl für einfacher gehalten, die ganze Sache zu genehmigen, bevor er angesichts der Konstruktion am Wert seines Fachstudiums im Allgemeinen und an seinem gesunden Menschenverstand im Besonderen zu zweifeln begann.
Wie der Empfänger genau funktionierte wusste Gott selbst nicht so recht, er kannte sich in diesen Dingen nicht so genau aus. Auf jeden Fall wurde der Alltag der Menschen registriert, in elektrische Signale verwandelt, in das hausinterne Kabelnetz gespeist und hinunter in das Medienzentrum geleitet. An den Wänden des Zentrums waren Dutzende von Monitoren aufgereiht, auf denen die Sendungen abgerufen werden konnten. So behielt Gott den Kontakt zu seinen Schäfchen, und eine Videoanlage machte sogar die Aufzeichnung und Archivierung der unzähligen Sendungen möglich.
Auf einem der Monitore konnte auch das reguläre Fernsehprogramm empfangen werden. Oft erfreute sich Gott an den bunten Bildern, die um einiges interessanter waren als das wirkliche Leben. So gab es da eine Fernsehserie über ein sprechendes Pferd, die ihm viel Spaß bereitete und zuweilen sein Zwerchfell dermaßen reizte, dass ihm vor Lachen die Tränen über die Wangen liefen. Dabei wurde sein Lachen dem Wiehern des Pferdes immer ähnlicher, bis gewöhnlich ein Hustenanfall seinem Vergnügen bis zur nächsten Werbeunterbrechung ein Ende setzte. Leider war die Serie schon lange aufgrund mangelnden Zuschauerinteresses eingestellt worden, und Gott war auf die gelegentlichen Wiederholungen am frühen Nachmittag angewiesen. Das Publikum hatte für einen solchen sentimentalen Kram nicht viel übrig. Der Sender hatte die geliebte Serie kurzerhand durch eine Fortsetzungsreihe ersetzt, in der stählerne Maschinenmenschen mit Laserkanonen aufeinander feuerten und dabei die halbe Welt in Schutt und Asche legten. Nein, das gefiel ihm wirklich nicht, solchen Programmen konnte Gott beim besten Willen nichts abgewinnen. Außerdem war er durch solche spektakulären Darbietungen von Tod und Zerstörung kaum zu beeindrucken. Das konnte er auch, ohne erst zum stählernen Übermenschen mutieren zu müssen.
9
Dr. Freak klebte mit dem Rücken an einem Streifen Papier, der mit Honig bestrichen war und irgendwo von der Decke hing. Mit jeder seiner Bewegungen verfing sich Dr. Freak stärker in der süßen Falle, wobei es ihm völlig schleierhaft war, wie er überhaupt in diese prekäre Lage hatte geraten können. Seine Flügel waren längst schon miteinander verklebt, und so sehr er sich anstrengte,
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