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Drachenboot

Drachenboot

Titel: Drachenboot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Low
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flüsterte er mit schwacher Stimme, dünn wie ein Faden der Nornen. Finn kam näher und hielt die Fackel hoch, sodass wir ihn besser sehen konnten.
    Lambisson war am Ende seiner Kräfte. Der weiße Rabe hatte seine Träume zunichtegemacht und seinen Geist ausgelöscht. Sein Gesicht war eine einzige wunde Fläche, und er war so mager, dass seine elegante Tunika an ihm hing wie ein trocknendes Fischernetz am Strand. Hunger und Krankheit hatten seine Kräfte aufgezehrt, und er hatte keine Ähnlichkeit mehr mit dem Brondolf Lambisson, den ich gekannt hatte. Dem aalglatten, stolzen Lambisson, dem ich einst in seiner ausgefallenen Rüstung und dem extravaganten Helm auf einem Berg begegnet war. Dieser Mann war tot, und der hier würde es ebenfalls bald sein.
    Doch in seiner Hand glänzte eine Klinge, und man spürte noch einen Funken seines früheren Selbstbewusstseins. Er brachte ein Lachen zustande, mühsam und leise wie das Flattern eines Nachtfalters, als er den Blick von der Fackel abwandte und mich ansah.
    »Ich erinnere mich nicht an dein Gesicht«, flüsterte er. »Ich erinnere mich an Einar, aber nicht an dich. Und doch haben die Nornen unsere Schicksale mitineinander verwebt, fester, als wären wir Brüder. Ist das nicht merkwürdig, Orm Bärentöter? Ich kenne dich besser als jede Frau, die ich hatte.«
    Das leise Lachen flatterte wieder auf und verlor sich im Dunkel. Finn trat zur Seite, und ich hockte mich hin.
    »So merkwürdig ist es gar nicht«, erwiderte ich. »Die Nornen spinnen unseren Lebensfaden, und wir müssen das Gewand anlegen, das sie für uns weben.«
    »Dann ist dieses Gewand ganz bestimmt vergiftet«, flüsterte
er – doch dann wurde seine Stimme lauter: »Ich glaube, es wäre besser, dein Begleiter würde still stehen.«
    Finn blieb sofort stehen und machte eine Geste, dass er verstanden habe. Dann hockte er sich hin, als säße er gemütlich am Feuer.
    »Ich bin Finn Bardisson aus Skani«, sagte er sachlich. »Ich könnte dich umbringen, wenn ich wollte, Brondolf Lambisson, egal, ob du eine Klinge hast oder nicht. Es ist besser, wenn du das von Anfang an weißt.«
    »Ich suche den kleinen Eldgrim«, nahm ich wieder das Wort auf. »Es ist nicht nötig, jemanden zu töten. Es sind genug Menschen gestorben, dafür ist Freya meine Zeugin. Ich will nur Eldgrim haben.«
    Er rührte sich und senkte den Kopf, aber die Hand blieb fest an der Klinge.
    »Du sprichst wie ein Freund«, flüsterte er. »Das könnten wir niemals sein.«
    »Nein, aber Feinde brauchten wir auch nicht zu sein.«
    Einen Herzschlag lang war es still, dann sagte er: »Wie gefällt dir meine neue Festung, Bärentöter? Ist sie nicht schön? Sie ist reich.«
    Sein leises Lachen klang wie der letzte Atemzug eines Sterbenden. »Reich genug, um Birka zu retten, hatte ich gedacht – aber Birka ist tot.«
    »Du kannst alles behalten«, sagte ich entschieden. »Ich will nur Eldgrim. Dann kannst du deine Stiefel füllen und ohne Kampf abziehen.«
    Er beugte sich vor, das erfrorene Gesicht sah im Fackelschein noch blutiger aus, dazwischen die schwarzen Stellen von der Kältefäule, die an seinen Wangen fraß. Seine Augen glitzerten, und von seinen aufgeplatzten schwarzen Lippen tropfte Blut. Er schüttelte den Kopf.
    »Das hatte ich befürchtet«, seufzte ich. »Hör mein letztes
Angebot: Finn und ich gehen zu dem Loch im Dach zurück und klettern hinaus, und du schickst uns den kleinen Eldgrim hinterher. Du kannst hierbleiben oder gehen, ganz wie du willst.«
    »Und ihr werdet abziehen und alles zurücklassen?«
    »Alles was?«, entgegnete ich. »Du kannst es nicht essen, Brondolf, und wärmen wird es dich auch nicht. Du bist schon halb erfroren und verhungert. Ich will nicht …«
    Er machte eine schnelle Bewegung, und ich merkte erst jetzt, dass er uns hereingelegt hatte, als er wie ein Blitz auf uns zustürzte – mit schwirrender Klinge. Er war nicht ganz so hinfällig, wie er sich den Anschein gegeben hatte.
    In meiner Erinnerung blitzte das Bild von Ketil Krähe wieder auf, wie er in derselben Dunkelheit über einen Berg von klirrendem Silber gestolpert war, während seine Füße sich in seinen bläulichen Eingeweiden verfingen. Nur dass er damals Hild mit ihrem Runenschwert zum Opfer gefallen war.
    Diese Erinnerung wurde mir fast zum Verhängnis, denn sie lähmte mich einen Moment. Brondolf hatte noch genug Kraft für einen letzten verzweifelten Versuch – sein Schwert fuhr herum, sodass ich zurücktaumelte und mein eigenes

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