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Drachenboot

Drachenboot

Titel: Drachenboot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Low
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war.
    Ich war mir nicht sicher, ob er um die Toten weinte oder darüber, was er hier entdeckt hatte, oder dass wir es überhaupt noch hierhergeschafft hatten. Er wusste es höchstwahrscheinlich selbst nicht. Aber es war ein erstaunlicher Anblick, Finn weinen zu sehen.
    Schließlich legte er den großen Silberteller vorsichtig hin und zog langsam den Godi aus der Scheide. Er setzte die Schwertspitze auf das Silber, umfasste den Griff und beugte den Kopf.
    »Allvater, einer der Deinen dankt dir an diesem Abend«, sagte er. »Er ist dein treuer Krieger, und er hat Gefährten, die du kennst – sie starben hier und sind bereits bei dir. Ihnen sage ich: ›Noch nicht, aber bald.‹ Dir aber sage ich Dank und nenne deine Namen.«
    Und er begann, sie zu rezitieren, düstere und kalte Namen, einen nach dem anderen. Als Jarl hätte ich ehrfürchtiger
sein müssen, aber ich hatte den Einäugigen auch schon anders erlebt und fand nicht, dass er das alles verdient hatte, nur weil er uns hierhergeführt hatte – wir hatten schließlich teuer dafür bezahlt, und die Sache war auch noch nicht ausgestanden, davon war ich überzeugt. Zerstreut sah ich mich um und nahm aus dem Augenwinkel eine Art Barrikade aus Holz wahr, die ich mir näher ansehen wollte.
    Es war die zusammengebrochene Öffnung des alten Tunnels, den wir an der Seite der Grabkammer gegraben hatten, als wir das erste Mal mit Einar hierhergekommen waren. Ich erinnerte mich, wie Illugi, kaum einen Schritt entfernt, von hier den Knauf seines Stabes wütend auf den Boden geschleudert und die Götter angefleht hatte – die ihn zu diesem Zeitpunkt schon nicht mehr erhörten –, uns gegen die schwarze Fylgja namens Hild beizustehen. Dann war das Plätschern von Wasser zu hören gewesen, und in die Grabkammer war Wasser eingedrungen …
    Dennoch war sie nicht überflutet worden. Das Holz, das aus den Seiten herausragte, waren Planken von unseren Wagen, die wir damals benutzt hatten, um den Tunnel abzustützen, und ich erinnerte mich, wie ich in dem saugenden Schlamm stecken geblieben war. Ich dachte wieder an die nackte Angst, die mich ergriffen hatte, als Hild in ihrem grausam verzweifelten Bemühen, mich zu erreichen, mit ihrem Runenschwert die Stützen durchschlug. Dann war das Wasser gekommen, das die Balka füllte – wie immer, wenn es in der Steppe regnet und sich das Wasser hier zu einem See sammelt, der nur im Hochsommer austrocknet.
    Ich legte die Hand auf das eiskalte Holz. Dort drinnen war sie. Ihr Wüten hatte den Tunnel zum Einsturz gebracht und das Grab wieder versiegelt, sodass nur wenig Wasser eingedrungen war, das schließlich hier eingeschlossen wurde. Wenn sie tot war, dann lag sie nur wenige Fuß entfernt
von hier, vielleicht nur wenige Zoll, und noch immer hatte sie das andere Schwert bei sich. Ich berührte die Wand, doch sie war steinhart gefroren, viel zu hart, als dass man die Wahrheit hätte ausgraben können.
    »Wafud, Hropta-Tyr, Gaut, Weratyr«, rezitierte Finn, dann war er fertig. Er ließ den Griff des Schwerts los und stand mühsam auf.
    »Beim Hammer, Orm, mein Junge«, sagte er immer wieder und schüttelte den Kopf. »Jetzt sieh dir das bloß an.«
    Ich legte ihm eine Hand auf die Schulter; er schien sich zu besinnen, dann nahm er die Fackel, ergriff sein Schwert und blies die Backen auf.
    »Jetzt bin ich also wirklich hier gewesen und habe es selbst gesehen«, sagte er mit glänzenden Augen. »Alles Silber der Welt. Jetzt weiß ich es. Jetzt weiß ich es wirklich, Junge.«
    Wir gingen die engen Balkas entlang, die sich durch den Silberberg zogen; unsere Fackeln warfen unheimliche Schatten und ließen die Eiszapfen glitzern, die diese Höhle in einen Silberpalast verwandelten, wie geschaffen für den Schatz eines Kriegsherrn.
    Von seinem zerschlissenen Brokatkissen aus sah Attila hinter uns her und grinste aus leeren Augenhöhlen.
    In einem der Gänge fanden wir Lambisson – er saß zusammengekauert in der Dunkelheit, als wir uns im Schein unserer Fackeln näherten. Er hockte auf einem Berg Silber, den er zusammengetragen hatte – Münzen und Halsringe, kleine Gegenstände, die in einen Eimer passten. Er lebte, und fast schien es, als hätte er nur auf uns gewartet.
    »Brondolf«, sagte ich freundlich, blieb aber in sicherer Entfernung stehen, denn in der Dunkelheit war er für uns nur ein Schatten, und ich wusste nicht, was er in der Hand hatte oder wo der kleine Eldgrim war.
    »Du musst Orm, der Bärentöter, sein«,

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