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Drachenboot

Drachenboot

Titel: Drachenboot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Low
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Jarl Orm, denn das hättest du eigentlich schon vor Monaten merken müssen.«
    Ich schnappte nach Luft. Finn rieb sich verlegen den Bart, und mir war klar, dass er es gewusst hatte. Gisur ebenfalls. Alle hatten es gewusst, merkte ich plötzlich, nur ich nicht. Doch jetzt sah ich es auch, an jedem Axthieb Kvasirs, der danebenging, hätte ich es erkennen müssen, an seiner neuen Angewohnheit, den Kopf wie ein Vogel auf die Seite zu legen, um besser sehen zu können, an dem Stoffstreifen, den er sich gegen das Licht über die Augen legte.
    Für kurze Zeit verdrängte die Sorge um Kvasir meinen Ärger. Gisur räusperte sich, und ich stürzte mich erneut auf ihn.
    »Du hättest sie daran hindern müssen«, schrie ich. »Und ihn auch, du Blödmann. Hast du jemanden hinter ihnen hergeschickt?«
    Mein Angriff ließ ihn leicht taumeln, dann richtete er sich auf und fasste sich.
    »Kvasir hatte das Kommando, also tat ich, was er mir gesagt hatte«, erwiderte er ruhig. »Und unter den Umständen war es das Beste, dass ich Thorgunna erlaubte, ihm zu folgen, Jarl Orm.«
    »Was für verdammte Umstände?«, brüllte ich rot vor Zorn.
    Die Eingeschworenen standen um uns herum, sie waren alle bewaffnet, trugen ihre Rüstung und hatten die Schilde erhoben. Gisur deutete über ihre Schultern hinaus in die schneeverwehte Steppe.
    Mein Zorn verging wie der letzte Atemzug eines Sterbenden. Oberhalb der steilen Böschung, zu beiden Seiten des gefrorenen Sees, standen lautlos die Kriegerinnen auf ihren Steppenponys. Es waren Hunderte – der Teil meines Gehirns, der noch funktionierte, nahm wenigstens dreihundert von ihnen wahr. Sie warteten – geduldig wie Wölfe
standen sie im Kreis um den kleinen Schildwall auf der Insel, die Attilas Grab war.
     
    Wir waren nicht mehr als zwanzig, die letzten Eingeschworenen, die es auf der Welt noch gab, und jeder von ihnen so abgenutzt wie ein alter Schleifstein. Dunkle Bärte, in denen das Eis glitzerte wie gefrorene Tränen, eingesunkene Wangen, rot geränderte Augen und tropfende Nasen. Die Männer, die mich Jarl nannten, duckten sich unter ihren angerosteten Helmen, mit knochigen, mageren Knien über zerfetzten Beinwickeln und zerschlissenen Stiefeln, die Füße zwei Klumpen erfrorenes Fleisch und Hände, die vor Frostbeulen juckten und bluteten.
    Und doch hatten sie die Schilde erhoben, ihre Speere waren gefettet, und die Klingen ihrer Schwerter glänzten und spiegelten ihre Augen wider, mit denen sie den Kreis der berittenen Kriegerinnen beobachteten. Sie strichen über ihre vereisten Bärte und grinsten das alte wilde Grinsen von Männern, die den Abgrund vor sich und Wölfe hinter sich haben, doch nicht einer unter ihnen wäre auf den Gedanken gekommen, wegzurennen oder seine Waffen niederzulegen – selbst Fisch nicht, der unseren Schwur nicht abgelegt hatte.
    In dem Moment liebte ich sie und keinen mehr als Finn, der für sie alle sprach. Er blies die Backen auf und grinste, dass seine vernarbten Lippen rissen.
    »Da haben wir doch wieder Odins Glück gehabt«, strahlte er, »dass wir unsere Waffen rechtzeitig zurückholen konnten. Jetzt haben wir diese Männerhasser-Weiber, wo wir sie haben wollten, und diesmal werden sie uns nicht entkommen.«
    Die anderen brüllten und schlugen auf ihre Schilde. Unter den Reiterinnen entstand Bewegung, sie warfen die Köpfe
zurück und stimmten ihren schrillen Kriegsschrei an, dieses entsetzliche Hundegeheul, das uns schon vorher so erschreckt hatte und nun aus dreihundert Kehlen ertönte.
    Fisch, der auf seinen verletzten Füßen noch schmerzhaft hinkte, schleppte sich bis zu einem Punkt, von dem aus er schießen konnte, dann spannte er die Sehne und ließ den Pfeil fliegen. Ob beabsichtigt oder nicht, der Schaft jedenfalls schwirrte wie gewünscht, doch die Spitze hatte einen kleinen Konstruktionsfehler, ein kleines Loch, in dem sich der Wind fing. Ein schrilles, lautes Pfeifen ertönte, bis der Pfeil in den zitternden Hals einer Reiterin drang und sie mitten in ihrem Geheul verstummen und rückwärts vom Pony fallen ließ.
    Als seien sie alle in den Hals getroffen, verstummten die anderen. Es entstand eine solche Stille, dass wir hören konnten, wie die getroffene Reiterin gurgelnd in ihrem Blut ertrank, während ihr Pony, vom Geruch des Blutes nervös geworden, schnaubte.
    »Scheiße«, sagte Hauk Schnellsegler bewundernd. »So einen Schuss habe ich mit dem alten Bogen noch nie hingekriegt.«
    »Das erste Mal, dass ich sehe, wie ein Fisch etwas

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