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Drachenboot

Drachenboot

Titel: Drachenboot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Low
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wir von singenden Kriwitschen den Fluss hinuntergestakt wurden, erzählte Kvasir mir, was er und Thorgunna dem jungen Prinzen entlockt hatten.
    »Er sagt«, erzählte Kvasir leise, »dass er mit seiner Mutter bei seinem Großvater und dem Pflegevater gelebt hat, den er den alten Thorolf nannte. Er weiß noch, dass er von Männern verfolgt wurde, davor hatte seine Mutter ihn immer gewarnt. Sie hatten sich irgendwo versteckt, den Namen des Ortes weiß er nicht mehr, denn er war erst drei Jahre alt, als sie von dort flohen und eigentlich nach Nowgorod wollten. Dort hat er einen Onkel, das hatte seine Mutter ihm erzählt, aber wie der heißt, weiß er nicht. Jedenfalls waren sie zu diesem Onkel unterwegs, als es passierte.«
    Ich dachte nach, begutachtete und prüfte die Geschichte wie eine unbekannte Münze, während Kvasir mich mit seinem einen Auge ansah.
    »Hat Klerkon ihn gefangen genommen, oder hat er ihn irgendwo gekauft?«
    Kvasir runzelte die Stirn. »Er nahm ihn fest und brachte sofort den Pflegevater um. Daran erinnert er sich; er sagt, Thorolf war zu alt und wurde ins Meer geworfen, wo er ertrank.«
    »Und die Mutter?«
    Kvasir zuckte die Schultern. »Ich glaube, die starb später.
Er will oder kann nicht darüber sprechen. Sie starb auf Svartey.«
    Wahrscheinlich unter Klerkons Mitwirkung, dachte ich düster.
    »Gibt es sonst noch etwas?«
    Kvasir zuckte wieder die Schultern. »Er weiß die Namen seiner Mutter, seines Vaters und seines Großvaters, will sie aber nicht sagen. Das überrascht mich nicht, vielleicht hat er es seiner Mutter schwören müssen. Wenn man verfolgt wird, ist Schweigen der beste Schutz.«
    Hier war etwas halb Verschüttetes. Ich kam mir vor wie jemand, der einen Ring in der Erde findet und weiß, wenn er fest genug daran zieht, kommt das ganze herrliche Schwert zutage, an dessen Heft dieser Ring befestigt ist.
    Wir schwiegen, dann schüttelte Kvasir nachdenklich den Kopf.
    »Es ist wie eine Sage«, bemerkte er. »Ein verfolgter Prinz, von Räubern gefangen genommen. Als Sklave verkauft und vom Bärentöter der Eingeschworenen gerettet … Wenn aus diesem Jungen nicht etwas ganz Großes wird, dann verstehe ich das Gewebe der Nornen nicht mehr.«
    »Lies nicht so viel in dem Gewebe seines Lebens, sondern konzentriere dich lieber auf das unsere«, erwiderte ich. »Hoffen wir, dass in dem seinen kein Faden ist, der uns zum Verhängnis wird.«
    Dieser Gedanke beschäftigte uns, bis die Strug am Kai von Nowgorod festmachte. Hier zeigten uns die Nornen, was sie bisher gewebt hatten, und Odin lachte noch lauter als sonst.

Die große Festung von Nowgorod mit ihrem Wohnturm – von den Slawen Kreml genannt – war schon früher eine mächtige Anlage gewesen, ehe sie in Stein neu erbaut wurde. Die Erdwälle und die spitzen Palisaden wachten über die Stadt wie ein gestrenger Vater.
    Im Innern der Festung war es so behaglich wie in einer mit Grassoden gedeckten Halle in Island, mit schönen Wandbehängen und allerlei kostbaren Fellen, aber es gibt dort auch ein stinkendes Loch von einem Gefängnis, das nur aus Dreck und schwitzendem Felsgestein besteht und für Leute wie die zerlumpten Kriwitschen, die Goliaden und Slowenen gedacht ist, jedoch nicht für anständige Nordmänner, wie wir es waren.
    Doch die Wächter der Druschina sahen das anders, als sie uns spöttisch lachend hineinwarfen und uns darauf aufmerksam machten, dass hier niemand wieder herauskomme, es sei denn, um kopfunter angenagelt oder gepfählt zu werden.
    Hier waren wir nun – ich, Kvasir, Jon Asanes, Thorgunna, Thordis, zwei Sklavinnen, die sich in einer fremden Sprache unterhielten, und der kleine Olaf, der zwar den Kopf trotzig erhoben hatte, aber dennoch zitterte, teils vor Angst, was jetzt passieren würde, teils aber auch, weil er zum ersten Mal einen Menschen getötet hatte.
    In der Dunkelheit und der Grabeskälte verriet allein das mühsame Atmen der anderen, dass noch weitere Menschen
hier waren, obwohl man glaubte, auch Schatten zu sehen, schwärzer noch als die Dunkelheit. Ich spürte sie, genau wie ich sie in der Nacht des Feuers in Hestreng gespürt hatte – die ruhelosen Toten, die zum Gaffen gekommen waren und um denen, die ihnen bald folgen würden, das letzte bisschen Wärme zu nehmen.
    Der Tag hatte ganz gut angefangen, als wir uns auf den breiten Bohlenwegen, die glatt von Alter und Raureif waren, zum Viertel der Gotländer aufmachten, wo auch die Nordmänner ihre Geschäfte abwickelten. Ich suchte

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